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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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glucksen, und die Stimmen der alten Leute sind ein sanftes Murmeln, das von der Nacht in schwarze Watte verpackt wird. Die Situation fühlt sich an wie ein Gemälde, das noch nicht beendet ist. Einer der Männer beugt sich aus dem Boot und streckt Lars die Hand entgegen und Lars geht vor Schreck unter.
    Was macht Mottes Großvater im Boot?
    Als Lars wieder auftaucht, weiß er, dass es keine Täuschung war. Der Großvater wartet, dass Lars zu ihm schwimmt. Es ist das Letzte, was Lars machen will. Er erinnert sich noch sehr gut, wie es war, vor dem Großvater zu stehen, nachdem sie aus Dänemark zurückgekehrt waren. So wie er sich an die Worte des Alten erinnert: »Ich behalte dich im Auge.« Lars kann noch immer nicht glauben, dass es seine Idee gewesen war, den Großvater um Hilfe zu bitten. Nicht noch einmal, denkt er und geht erneut unter, dreht sich im Wasser und schwimmt vom Boot weg ans Ufer zurück.
    Die Knarre ist schwer. Lars hält sie mit beiden Händen vor sich auf den Boden, wie sie es immer in Filmen machen. Er weiß, dass da eine Sicherung sein muss, und er weiß, dass er die Sicherung umlegen muss, sonst ist die Knarre nur Deko. Er kommt aber nicht dazu, die Waffe näher zu studieren, denn da ist ein Rascheln und im nächsten Moment stürzt Esko auch schon die Böschung herunter, bricht durch Sträucher und Büsche und landet mit einem dumpfen Laut zwanzig Meter entfernt im Sand. Lars will zu ihm rennen, als ein Schrei durch den Grunewald hallt.
    » AYAYAYAY !«
    Und eine Sekunde später folgt ein nackter Irrer und reißt eine Bresche in die Böschung.
    Es ist schwer, nicht davonzurennen, wenn man so was miterlebt. Ein stürzender Engel ist was Biblisches, ein stürzender Irrer ist mehr was aus einem Film, den man sich nicht alleine ansehen will. Ganz besonders wenn der Irre nur Unterhosen trägt und von Kopf bis Fuß mit Dreck beschmiert ist. Lars steht still, er spürt regelrecht, wie seine Füße Wurzeln schlagen. Er steht da und wartet und sieht den Irren gegen einen Baum prallen, dann überschlägt er sich einmal und dann noch einmal und fällt neben Esko in den Sand. Sein Gewehr fliegt durch die Luft und landet vor Lars’ Füßen. Lars steht noch immer an Ort und Stelle und ist verdammt stolz auf sich.
    Es ist auch schwer, sich eine Waffe zu greifen, wenn man schon eine Waffe in der Hand hat. Es macht die Situation auch nicht einfacher, wenn man weiß, dass die Waffe einem Irren in Unterhosen gehört.
    »Finger weg!«
    Der Irre hat einen britischen Akzent, aber Lars wäre es selbst egal, wenn der Typ wie der Sänger von Boney M klingen würde. Er fühlt sich nur ganz leicht verunsichert, weil der Körper des Irren so durchtrainiert ist, dass sich Lars dagegen wie ein gebügeltes Taschentuch vorkommt.
    »Ich sage es nicht noch mal, du kleiner Wichser!«
    Lars zielt auf die Brust des Irren. Er hat die Sicherung vergessen, so wie er alle Vorsichtsmaßnahmen vergessen hat, die er sich merken wollte: Nicht zu nahe rangehen, nicht festquatschen, nicht in Tränen ausbrechen und nie nie nie wieder wegrennen.
    »Ich brauch dein blödes Gewehr nicht«, sagt er. »Und ich war schon als Kind im Schützenverein. Ich kenne mich also aus.«
    Der Irre verharrt, als hätte Lars ein magisches Wort gesagt. Er weicht sogar einen Schritt zurück. Keine Ahnung, was das für eine Knarre in meiner Hand ist, denkt Lars, aber so schnell gebe ich sie nicht wieder her.
    »Und was jetzt, Wunderkind?«, fragt der Irre.
    Gute Frage, denkt Lars und sieht an ihm vorbei zu Esko, der noch immer reglos im Sand liegt.
    »Ich mach es dir leicht, was meinst du?«, sagt der Irre.
    »Wie … Wie willst du es mir denn leichtmachen?«
    »Wenn du in einer Situation wie dieser bist, musst du einen klaren Kopf behalten und nicht einfach drauflosballern.«
    Lars lacht.
    »Das sagst du nur, weil die Knarre auf dich –«
    »Falsch«, unterbricht ihn der Irre. »Das sage ich, weil es solche und solche Situationen gibt. Du kannst schießen, du weißt aber nicht, wie viele Kugeln im Magazin sind, und du weißt auch nicht, wie viele Kugeln du brauchen wirst, um mich aufzuhalten. Und jetzt sieh auf die Waffe.«
    Lars schielt auf die Knarre.
    »Du hältst eine Beretta 92 in der Hand. Du weißt nicht, ob sie voll geladen ist oder wie viele Schüsse schon abgegeben wurden. Nehmen wir die Hälfte. Sagen wir, es sind noch sechs Kugeln im Magazin. Drei gehen immer daneben. So was passiert. Bleiben drei Kugeln. Um ehrlich zu sein, halten mich drei Kugeln

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