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Der letzte Engel (German Edition)

Der letzte Engel (German Edition)

Titel: Der letzte Engel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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und helfen ihr, die Weste anzuziehen. Das Mädchen verschwindet fast völlig unter der groben Wolle.
    »Und meine Freunde?«, fragt sie und schaut zum Ufer zurück, wo Lars gerade aus dem Wasser steigt.
    »Wir haben kein Ruder«, sagt Pia und wischt dem Mädchen eine nasse Strähne aus dem Gesicht. »Aber ich verspreche dir, sobald wir an Land sind, kümmern wir uns um deine Freunde.«
    Die Strömung treibt das Boot weg vom Strand und auf Potsdam zu. Der Zar tut sein Bestes, er kann aber die Augen nicht von dem Mädchen nehmen. Sie macht ihn sehr nervös. Sie ist nicht wirklich echt für ihn. Ein Experiment mehr oder weniger. Er kann nicht einmal ihren Namen bewusst denken und wundert sich, wie es sich wohl anfühlen muss, Erinnerung zu berühren. Er würde fragen, wenn er mit dem Mädchen allein wäre. So hält er aber den Mund. Die Gräfinnen dagegen sind nicht zu bremsen. Sie wollen wissen, ob es dem Mädchen gut geht, ob sie weiß, wer die Gräfinnen sind.
    »Ich weiß, wer ihr seid«, sagt das Mädchen. »Ich habe alles über euch gehört.«
    Der Zar sieht übers Wasser und fragt sich, wo Erik abgeblieben ist. Seit dem merkwürdigen Anruf hat der Zar es mehrmals versucht, ihn über das Handy zu erreichen. Wahrscheinlich sitzt der Idiot am anderen Ufer auf dem Parkplatz und wartet, dass sie zu ihm kommen.
    Oder auch nicht, flüstert eine Stimme im Kopf des Zaren.
    »Wir bringen dich erst mal nach Hause«, sagt Pia.
    »Und dann ziehen wir dir was Warmes an«, sagt Natascha.
    Das Mädchen sieht den Zaren an.
    »Vielleicht verrate ich dir dann auch, warum wir kein Ruder mehr haben«, sagt der Zar und grinst. Das Mädchen grinst zurück und sagt, das würde sie aber gerne mal hören. Der Zar mag ihr Grinsen. Er springt in diesem Moment ein wenig über seinen eigenen Schatten und gibt dem Mädchen ein Versprechen. Und er sagt dabei das erste Mal ihren Namen.
    »Wir bringen dich jetzt in Sicherheit, Mona, sodass dir nichts mehr passieren kann.«
    Nach einer Stunde legen sie in Potsdam am Ufer der Schwanenallee an. Sie lassen das Boot zurück und laufen zur Berliner Straße hoch, wo Kolja ein Taxi heranwinkt. Auf dem Heimweg machen sie Zwischenstopp an einer Tankstelle und kaufen Orangensaft, Cola und Schokolade. Mona hat sie darum gebeten. Sie hat gesagt, sie muss um jeden Preis wach bleiben, weil der Engel sonst verschwindet. Der Zar hat das alles noch nicht ganz verstanden. Woher die Kleine auch immer aus ihrer Erinnerung einen Engel geholt hat, er denkt, es muss was mit dieser verdammten DNA zu tun haben. Es ist der erste Erfolg der Familie, auch wenn sich der Zar diesen Erfolg sehr anders vorgestellt hat.
    Wir wollten Engel und nicht kleine Mädchen, die Erinnerung berühren können, denkt er und betrachtet das Mädchen im Seitenspiegel. Er hat keine Ahnung, wie lange sie ohne Schlaf aushalten will. Die Kleine ist vollkommen übermüdet und lehnt während der Fahrt an Koljas Schulter. Wenn es nach dem Zaren ginge, würde er sie schlafen lassen. Soll der Engel doch sehen, was er macht. Wenn er Flügel hätte, dann ließe der Zar mit sich reden, aber ein Engel ohne Flügel ist wie ein Auto ohne Motor. Wertlos.
    Fünfundvierzig Minuten später steigen sie vor der Villa aus dem Taxi, und der Zar spürt, wie die Unruhe in ihm aufkommt. Nicht die Erleichterung, die er immer verspürt, sobald er nach Hause kommt. Irgendwas stimmt nicht.
    »Was ist?«, fragt Pia.
    »Ich …«
    Auch Kolja spürt es. Er zögert nicht, sondern rennt sofort auf die Villa zu. Der Zar folgt ihm und flucht über seine Langsamkeit. Im Inneren der Villa ist alles wie immer. Der Alarm ist eingeschaltet, kein Feuer brennt, kein Lazar wartet in den Schatten auf sie.
    »Was musst du so rennen?«, sagt der Zar, aber Kolja ist schon auf dem Weg ins erste Stockwerk. Der Zar lehnt sich gegen die Wand, er kann nicht mehr und wartet auf die Gräfinnen und das Mädchen. Da ist ein Ziehen in seiner Brust, das sich sehr nach einem Herzanfall anfühlt. Nicht dass der Zar jemals einen Herzanfall gehabt hätte. Aber im Internet kann man eine Menge darüber lesen. Die Beschreibungen passen. Er reibt sich die Brust, er atmet schwer.
    »Es war heute Nacht ein wenig zu viel für uns alle«, sagt Natascha, als sie hereinkommt. »Vielleicht sollten wir uns …«
    » GRÄFINNEN !«
    Koljas Ruf bringt sie zum Schweigen. Ein Stich wandert den Arm des Zaren hoch und er reibt sich die Schulter. Sie steigen die Treppe rauf, und ihre Schritte verlangsamen sich, als sie sehen,

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