Der letzte Grieche
beachtlicher Geschicklichkeit. Nicht genug, dass er wusste, wie man den Fuß am besten positionierte, wenn man einen Widersacher fortschlug – bloß Amateure glaubten, dass man den ganzen Schuh auf die Kugel setzte; die Kinder hatten ihn gelehrt, wie man den vorderen Teil auf der Kugel und die Ferse auf dem Erdboden plazierte – darüber hinaus hatte er auch trainiert, mit wohldosierter Kraft und Präzision zu schlagen, wobei seine Hände kurz über der Farbmarkierung auf dem Stiel lagen. »Wenn du willst, können wir spielen …« Er hob eine Kugel auf und begann, scheinbar gleichgültig, damit zu jonglieren.
Kostas suchte in seinen Taschen nach etwas. Der Freund sei sicher so gut, dass sein Geschick einen Lexikonartikel verdiene, und im Übrigen sähe es so aus, als seien die Bälle schwer. Erneut versuchte Efi, etwas zu sagen. »Bälle?« Jannis lachte. »Nein, mein Lieber. Das sind Kugeln. Und die hier benutzt man, um sie zu schlagen. Es ist wie Eishockey, nur auf Gras.« Als sein Freund nicht reagierte, fügte er hinzu: »Oder stell dir Herakles mit einem Schläger vor, wenn dir das lieber ist.« Er setzte zu einem Schlag an, hielt dann jedoch inne. Ihm war soeben eine Idee gekommen (nennen wir sie »entscheidend«). Als Efis Bruder immer noch nicht reagierte, flüsterte sie Manolis etwas zu, der daraufhin die Stirn runzelte. Lily deckte die Baklava mit einer Serviette ab. »Wir können ja eine Wette abschließen …« Jannis klang sorglos. »Um was? Einen Platz in der Geschichte?« Kostas drückte seine Zigarette aus, der Supergrieche überlegte. »Hm. Was meinen Sie, Herr Doktor, sollen wir um einen Platz in der Geschichte spielen?«
Als Manolis nickte und aufstand, rief Lily: »Wartet!« Während sie lief, um die Kamera zu holen, hielt Jannis den anderen drei Streichhölzer unterschiedlicher Länge hin. Er ging als erster Grieche an den Start, Kostas als letzter. Bei ihrer Rückkehr erkundigte sich Lily, ob die Männer schon angefangen hätten. Ihr Mann schüttelte den Kopf, während Jannis seinem Freund zeigte, wie man einen korrekten Schlag ausführte. Auf dem Foto, das eine Woche später entwickelt wurde, sieht man die drei Griechen, wie die Geschichte sich ihrer erinnern wird, in flauschiges Nachmittagslicht getaucht. Manolis trägt das gestreifte Frotteepolohemd, das ihm bereits eine Nummer zu klein geworden ist. Er schiebt einen Ellbogen nach hinten und wendet das Profil von der Linse ab, als würde er von einem Insekt belästigt. Der Schläger in seiner Hand ist übrigens blau. Kostas lächelt zurückhaltend und hat die Hände vornehm auf seinem gelben Schläger drapiert. Er hat die Ärmel hochgeschoben und ist mit einer weiten Jeans und weißen Holzschuhen bekleidet. In seinem Blick scheint eine gewisse Verlegenheit zu liegen. Wie so oft ist er sich seiner selbst bewusst. Jannis steht in die entgegengesetzte Richtung gewandt, sein strahlend weißes Hemd steckt in der Hose. Die Ärmel hat er bis zum Bizeps hochgekrempelt. Seine Taille ist rank und schlank, und es fällt nicht weiter schwer, sich die Muskulatur unter dem Baumwollstoff vorzustellen. Unter der Hose trägt er übrigens eine Badehose, die er noch nicht zum Schwimmen benutzt hat. Über der geöffneten Hand, die keinen Schläger hält, sieht man das Armband einer Uhr. Schade, dass wir das Zifferblatt nicht erkennen können. Auf dem anderen Arm schlängeln sich die Adern prall und wurmartig, ehe sie in der Armbeuge verschwinden.
Da die Sonne tief steht – es sollte der letzte warme Tag des Sommers sein –, werfen Manolis und Kostas lange Schatten auf unseren Helden. Es fällt einem schwer, sie nicht als Omen zu deuten. Das schräg einfallende Licht lässt sein halbes, scharf geschnittenes Antlitz im Dunkeln. Auch das mag ein Omen sein. Nur eine Woche später wird er Balslöv verlassen. Nase und Lippen scheinen aus Licht geschnitzt zu sein. Der Seitenscheitel sitzt, wo er immer gesessen hat, bei elf Uhr auf dem Schädel. Zwischen den Augenbrauen tritt eine Furche zutage, in der sich das Grübchen am Kinn wiederholt – eines der Geheimnisse der Natur. Einem aufmerksamen Betrachter wird zudem auffallen, dass Jannis seinen Schläger in der linken Hand hält. Herrn Nehemas’ Lineal ist nur noch eine verblasste Erinnerung. Jeder sieht, er wartet bloß darauf, dass die Aufnahme gemacht wird, damit die Partie endlich beginnen kann. Zu seinen Füßen liegt eine Kugel. Er wirkt siegessicher.
Kaum hatte die Kamera die drei Gestalten auf das
Weitere Kostenlose Bücher