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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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sie bei ihren Arbeitgebern anrief und ihnen mitteilte, dass ihr übel war. Jannis ahnte, dass seine Mission ein voller Erfolg gewesen war, und schaffte es, seinen wildgewordenen Spatz so erfolgreich im Zaum zu halten, dass er nur milde und makedonisch lächelte, als wäre nichts passiert. Stattdessen bereitete er rizógalo zu, spülte und putzte und überraschte Agneta eines Abends mit neuen Frotteesocken am Fußende des Betts. Er holte die Sachen, die sie zu Hause vergaß, er achtete darauf, dass ihre Mutter das Medikament gegen Thrombosen nahm und ihr Vater jemanden hatte, mit dem er sich über Lastwagen und Bagger unterhalten konnte. Er lief zum Kiosk, wenn die Sehnsucht nach Lakritz übermächtig wurde, und strich über ihre Fingerknöchel, wenn sie ihn einfach nur neben sich haben wollte. Auch wenn er mit keiner Miene verriet, dass er begriff, was vorging, war er fast alles, was sich eine Frau in Tollarp wünschen konnte. Jedenfalls von einem Griechen. Was Agneta zu der Vermutung veranlasste, dass es eben doch Männer gab, die sie sahen. Nur eins tat Jannis nicht, und deshalb zögerte sie immer noch. Er begriff nicht, warum sie nicht glücklich sein konnte. Und das, sollte sie dem Menschen anvertrauen, der ihr in ihrem späteren Leben am nächsten stand, war der Grund, warum sie ihm nichts von ihrem Zaudern erzählte, als sie an jenem Abend mit der Hand des Freunds auf ihrem Bauch erklärte, dass auf Gummis offenbar nicht in allen Lebenslagen Verlass war.
    Mit etwas Abstand betrachtet war ihr Wankelmut ein kompliziertes Wesen. Es handelte sich ja nicht um ein einfaches Zaudern, sondern um ein Zaudern angesichts des Zauderns, wobei die eine Art beschämt über die andere war, die wiederum der ersten Vorwürfe machte. Komplikationen dieser Art neigen dazu, Teufelskreise zu bilden, was zur Folge hatte, dass die neunte Woche kam und ging, ohne dass man im Blomstervägen eine Entscheidung getroffen hätte. Gleiches galt für die zehnte. Seit einiger Zeit verlangte Frau Granqvist einen Nachtzuschlag für den weiblichen Gast im Zimmer. Aber das war auch schon alles. Sie konnte nichts dagegen tun, dass die Binden unangerührt im Regal lagen, oder die restlichen Kondome, die Jannis sicherheitshalber punktiert hatte, nun jedoch unbenutzt in eine leere Milchtüte gestopft wurden, oder dagegen, dass der eine Mieter auf dem Fußboden des Dachgeschosses auf und ab ging, während der andere schlief. Auch die elfte, zwölfte und dreizehnte Woche vergingen. Und mit jedem neuen Montag, an dem sich Agneta darauf vorbereitete, den Schienenbus zu nehmen, fiel es ihr ein bisschen schwerer, die Treppen hinunterzugehen. »Nein«, stöhnte sie an einem dieser Morgen so verbissen, dass ihr Freund sie fragte, ob er nicht Doktor Florinos bitten sollte, sie ins Krankenhaus mitzunehmen. »Das hier ist kein Sonntag mit Freitag darin. Das ist nur ein alter, stinknormaler Montag. Und das hier ist deine alte, stinknormale Thunell: fett, hässlich und verdammt.«
    Jannis gab sich alle Mühe, nicht zu lachen, denn in Wahrheit sah Agneta sehr attraktiv aus – vielleicht in Folge von Make-up und frisch gebügelter Bluse, womit sie versuchte, sich für sich selbst erträglich zu machen –, so dass er einfach an Lill Lindfors denken musste, als diese am Ende des Konzerts den ärmellosen Arm zur Decke des Volksparks gestreckt hatte, woraufhin ausnahmslos jeder sehen konnte, dass sie sich rasierte. Möglicherweise dachte ein entlegener Teil seines Gehirns sogar an jene Frau, die in Thessaloniki vor dem Bahnhof gestanden und sich erkundigt hatte, ob er die ganze Nacht allein verbringen wolle. Jedenfalls hatte seine Freundin etwas gleichzeitig Künstliches und Magnetisches an sich, was die Herrlichkeit groß machte. Möglicherweise war diese in sich gekehrte, gleichwohl jedoch unübersehbare Freude verantwortlich dafür, dass es Agneta schwer fiel, über ihr Zaudern zu sprechen. Je länger sie wartete, desto schwieriger wurde es jedenfalls. Nachdem sie Jannis eines Abends erzählt hatte, dass Herr D. einen im Regen stehen ließ, wenn ein Wolkenbruch niederging, konnte sie ihm keine Vorwürfe machen, wenn er das Ohr auf ihren Bauch legte und mit der Zunge Geräusche fabrizierte, die wie Heuschrecken klangen – und aus diesem Grund verschwand auch das Zaudern vor dem Zaudern. Genau genommen löste es sich in einem diffusen Wohlbefinden auf, das nur eine ferne Verzweiflung erahnen ließ. Folglich antwortete Agneta am Ende auf eine Frage, die ihr Freund

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