Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
Vom Netzwerk:
zwar nie gestellt hatte, für die jedoch jede seiner Bewegungen, jedes neu erlernte Wort ein Beleg war: »Mm, sollen wir vielleicht heiraten?«
    Zu diesem Zeitpunkt – bis dahin war es ein Maitag ohne Eigenschaften gewesen – hatte Jannis mehrere Fortschritte gemacht. Zum Beispiel beim Kochen von Kompott, beim Rückenschwimmen sowie bei Straßenschildern, rückwärts einparken und Postsortierung. Er schickte Ansichtskarten an Vater Lakis und ermahnte ihn, sie kreativ zu lesen. »Machen Sie die Damen stolz, Vater, und erfinden Sie alles, wofür ich in diesem Feld keinen Platz habe.« Zweimal in der Woche besuchte er das Hallenbad, wo er in enger Badehose und mit insektenartiger Schwimmbrille eine Bahn nach der anderen absolvierte, bis etwas Eigenartiges geschah: Er schwitzte im Wasser. Er lernte die Anteile Stärke und Waldbeeren in den großen Zylindern im Gleichgewicht zu halten, er lernte neue Flüche und die Bezeichnungen für unbekannte Motorteile von Sture Thunell, der freundlicherweise die Haube seines Saabs in der Garage öffnete, und versuchte heimlich, lieferbare Exemplare der Enzyklopädie zu bestellen.
    Die Verbform namens Konjunktiv hatte er allerdings noch nicht gelernt. Darüber hinaus hatte er auch keine Fortschritte in der Frage gemacht, wie Menschen Macht über andere erlangen, ein womöglich noch größeres Mysterium. Als Jannis an diesem nicht mehr eigenschaftslosen Maitag hörte, was er hören wollte, spürte er deshalb sehnig und stark Jubel in seinem Körper aufsteigen. »Unglaublich … Unglaublich …« Er schüttelte den Kopf, als traute er seinen Ohren nicht. »Ein Dienstag mit nur Dienstag darin.«
    ETWAS GEHT UNWIDERRUFLICH KAPUTT . Als Agneta erkannte, dass ihr Freund nicht sah, wie unsicher sie noch immer war, beschloss sie zu schweigen. Danach blieb allein das ursprüngliche Zaudern zurück, ein namenloses Wesen aus Unruhe und Selbstvorwürfen. So tief war Jannis niemals vorgedrungen, und sie bezweifelte, dass er es jemals tun würde. Wer würde das wollen? Nicht einmal sie selbst wollte dort hinab, wo alles hässlich, träge und irgendwie sehr wenig Mensch war. Nichts ahnend von diesen Gedankengängen, half ihr der Verlobte ins Bett. Er legte sich auf die Seite, so dass sein Unterarm zu ihrem Kissen wurde und meinte, dass er sie nach Balslöv begleiten wolle. Nein, er finde nicht, dass es bis zum Wochenende Zeit habe. Nein, am Telefon könne man unmöglich darüber sprechen. Diese Neuigkeiten waren viel zu groß, sie waren phantastisch. Wie wäre es, wenn sie anschließend nach Bromölla weiterführen? Agneta drehte sich um. Sie wollte nicht vorgezeigt, sondern umsorgt werden. Konnte sie nicht einfach auf seinem Arm liegen und bloß da sein? »Das sind deine Freunde«, sagte sie und rümpfte die Nase. »Wir sehen sie auf der Hochzeit.«
    Tapfer schob Jannis seine Knie in die Kniekehlen der Verlobten. »Okay. Du erzählst es den Florinos, aber du versprichst mir, sie von mir zu grüßen, ja? Und sagen, dass alle Leute, sie kommen auf unsere Hochzeit? Keine Entschuldigung wird absolviert.« »Akzeptiert«, stöhnte Agneta, nicht ohne Zärtlichkeit. Während die Atemzüge seiner Braut langsam flacher und so regelmäßig wie Glockenschläge wurden, beschloss Jannis, der vergeblich versucht hatte, in seiner Nähe den Klang einer schnarchenden Ölheizung zu vernehmen, auf sein freitägliches Schwimmtraining zu verzichten. Wenn er die Mittagspause durcharbeitete, konnte er den Drei-Uhr-Bus nach Kristianstad und von dort aus den Zug nehmen. Mit etwas Glück würde er zur allwöchentlichen Folge der Fernsehserie über eine englische Großfamilie zurück sein, die seit einem halben Jahr lief und der Agneta mit dem einzigen in ihrem Leben, was an religiösen Eifer erinnerte, die Treue hielt.
    Die Fahrt dauerte nicht länger als sonst, aber für den Griechen, der in der Garnisonsstadt umstieg, war es, als reise er nach Bombay statt Bromölla. Als der Zug durch die zartgrüne Landschaft fuhr, ertappte er sich dabei, das Rattern gegen die Schienen zu zählen. Warum hörte man es einmal pro Sekunde? Warum nicht drei oder fünfzehn Mal? Als er kurz nach fünf ankam, machte er sich im Laufschritt auf den Weg. In der Stiernhielmsgatan nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Aber als er den Klingelknopf drückte, der über der Klinke zur Tür im dritten Stock montiert war, öffnete ihm niemand. Er wartete, klingelte, wurde ungeduldig und klingelte nochmals. Der kraftlose Klingelton hatte etwas

Weitere Kostenlose Bücher