Der letzte Grieche
für die Tiere enthielt. Aber als er noch in Stefanopoulos’ Küche thronte, hatten zuunterst Orangina-Flaschen gelegen, die aussahen wie Glühbirnen und von Eiskristallen überzogen waren. Auf der Platte darüber gab es einige flache, französische Flaschen, die Heizkissen ähnelten, und aus deren heiß begehrten Korken die Kinder Figuren bastelten. Ganz oben lagen, in steifes Zeitungspapier verpackt, die Fleischstücke, und dahinter befand sich eine in ein Stofftuch gewickelte Zigarrenkiste. »Was war da drin?« »Oktopoden.« »Okto-was?« »Ein Kopf, acht Arme?« »Ach so, Tintenfische«, sagte Anton. »Warum denn das?«
Die Apokalypse hatte die Tiere mehrmals jährlich angeliefert. Laut Stella war das Eis geschmolzen, ehe der Eimer übergeben wurde, aber das kalte Wasser roch nach Meer und etwas anderem. Sehnsucht, vielleicht. Ihr Vater schnitt die Tentakel ab und reihte sie in einer Zigarrenkiste auf, die nur hervorgeholt wurde, wenn Herzen abenteuerlich waren. Wenn jemand kleine Steinchen in den Mund bekam, erklärte er, der Tintenfisch sei das einzige Tier, das den Abrieb des Lebens festhalte. Man dürfe keine Angst davor haben, dass einem die Plomben herausfielen, es bringe Glück, wenn man den Kies schlucke. Normalerweise briet Stellas Vater die Tentakel in etwas Öl und Oregano. Wenn sie langsam Farbe annahmen, drückte er eine halbe Zitrone aus und salzte und pfefferte das Ganze. Diese Tradition lebte auch nach seinem Tod weiter. Aber die Tintenfische, die ihr Bruder Elio bei dem Mann mit dem Tanklastwagen bestellte, schmeckten nicht annähernd so gut, möglicherweise, weil das Fahrzeug weniger Zeit benötigte, um den Weg in die Berge zu nehmen. Oder weil der neue Kühlschrank zu kalt war.
Der alte hatte noch etwas anderem Platz geboten, was kostbarer war als die Orangina-Flaschen, kostbarer als der französische Absinth und kostbarer als die Fleischstücke – ja, sogar kostbarer als die Zigarrenkiste und die Bleilade darunter. Anton sagte nichts. Ganz hinten hatte eine Reihe kleiner Fläschchen gestanden, die von ausbeulendem Eis überzogen waren. Früher hatten sie Cognac enthalten, aber Leonidas Stefanopoulos hatte sie ausgespült und die Etiketten entfernt. Stella zufolge enthielt eine von ihnen das Weihwasser von der Hochzeit ihrer Eltern und zwei andere das Wasser von den Taufen der Kinder. Ihr Vater hatte die Idee offenbar vor einer Myriade Jahren von einem Flüchtling übernommen. In einem weiteren Gefäß schwebte der gefrorene Schwanz eines Skorpions, zu einer ewigen Drohung aufgerichtet, in einem anderen schimmerte das Wasser, das der Partisanenführer Velouchiotis zum Kaffee nicht ausgetrunken hatte, als er eines Abends während der Besatzungszeit mit Vater Lakis diskutiert hatte, wo man die sowjetischen Waffen verstecken sollte. Wenn man genauer hinsah, konnte man noch immer den Kaffeesatz auf dem Grund erkennen. »Velo-was?« »Kein Fahrrad, Anton. Du fragen den Doktor, wer das ist.« Ein Fläschchen war nur halb gefüllt. Darin verwahrte der Kaffeehausbesitzer, was von dem Wolkenbruch 1949 übrig geblieben war. Und die letzte Flasche … »War natürlich leer.« Florinos’ Sohn wurde langsam ungeduldig. Die Geschichte gefiel ihm, aber der Tonfall störte.
Jannis sagte nichts. Er dachte an Stellas Antwort, als Efi die gleiche Frage gestellt hatte: »Leer, natürlich. Keine Ahnung, was einmal in dieser letzten Flasche war. Aber es war die erste, die er damals von dem Flüchtling bekommen hatte.« Abschließend erklärte sie, ihr Vater habe offensichtlich ein Eismuseum mit den wichtigsten Ereignissen in seinem Leben eingerichtet. Die letzte Flasche – die also die erste war – habe sicher ein ganz besonderes Wasser enthalten, das bei einer ganz besonderen Gelegenheit benutzt worden sei. Wann, wusste Stella jedoch nicht zu sagen. Stattdessen rief sie nach ihren Tieren und fügte hinzu, ihr Bruder habe die Fläschchen bei der Übernahme des Kaffeehauses verschenkt. (»Wir brauchen den Platz für die Koteletts, Schwesterherz. Erinnerungen kauft kein Mensch.«) Efi stand auf, wie immer mit Mühe, und versuchte an der Figur entlang zu hüpfen, die Jannis in den Sand gezeichnet hatte. Während sie laut zählte, studierte er ihre zwiebelförmigen Fußknöchel. Sie schienen von einer sagenhaften Mechanik erfüllt zu sein, als wären sie Uhrwerke aus Knochen und Sehnen. Als sie bis zwölf gekommen war, blieb sie in der Mitte stehen. Langsam hatte sie sich umgewandt und zunächst Stella und dann
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