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Der letzte Grieche

Der letzte Grieche

Titel: Der letzte Grieche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aris Fioretos
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geblieben waren, fühlte Jannis sich außer Stande, auch nur eine einzige Begebenheit auf Kosten einer anderen in den Vordergrund zu rücken. Kurzum: Er bekam Probleme mit der Zeitrechnung. Er hatte das Gefühl, dass alle Tage rot waren.
    Nach dem Tod der Hasenscharte war er nicht mehr jeden Tag in die Schule gegangen – oder auch nur jede Woche, oder auch nur jeden Monat. Stattdessen hatte Vater Lakis ihn unterrichtet, wenn er denn dazu kam. Während dieser Stunden im Büro des Geistlichen lernte der Acht-, Neun- und später auch Zehnjährige vieles, was ihm Magister Nehemas aller Wahrscheinlichkeit nach niemals vermittelt hätte. Unter anderem, dass die Woche nicht aus irgendwelchen beliebigen Tagen bestand. Der erste Tag war der wichtigste, weil Gott an ihm Himmel und Erde erschuf. An diesem Sonntag war die Welt von Wasser bedeckt und klassenlos. Am zweiten Tag erschuf der Herr das Himmelsgewölbe. Die Kuppel trennte das Wasser unter dem Bollwerk vom Wasser darüber. Letzteres bestand aus Dampf und wurde von dem Geistlichen zum »Überbau« ernannt. Am dritten Tag sammelte Gott das untere Wasser an einer Stelle. Land entstand und in der Folge auch Áno Potamiá. So machte der Herrr tagein, tagaus weiter, bis er zufrieden war und sich von seiner Schöpfung ausruhen konnte. Hierbei senkte Vater Lakis die Stimme. »Aus dieser perfekten Woche war der Teufel ausgeschlossen …« Den Leibhaftigen durfte Jannis sich vorstellen, wie es ihm beliebte. (Was er auch tat: Er hatte rote Augen und einen grauen Bart, trug sich kreuzende Patronengurte und roch nach Schießpulver.) Für manche war der Teufel das Kapital, für andere die Deutschen oder die Bulgaren und für Frau Poulias das Schicksal – »sicher ist nur eins: Er kommt von außen«. Wie die Amerikaner wartete er auf die richtige Gelegenheit, die Treuherzigen zu verderben. »Der achte Tag, palikári mou , das ist der Tag des Chaos und der Vertreibung.«
    Mittlerweile war Jannis alt genug, um dem Priester nicht zu glauben, der geheimnisvoll gelächelt hatte, als sie sich über die sowjetische Uhr unterhielten, die der Junge nach dem Tod seines Vaters trug. Der Gedanke aber, dass die Namen der Tage willkürlich waren, ging ihm nicht mehr aus dem Sinn. Wie alle anderen wiederholte er sie Woche für Woche, so war es am einfachsten, wusste jedoch, dass es sich um Bezeichnungen handelte, die Vereinbarungen waren, und Ereignisse, die einander nicht untergeordnet werden konnten. Der Abschied von Áno Potamiá bewies dies. Seit er das Uhrgehäuse eingeschlagen hatte, bestand die Welt aus achten Tagen. Fortan ließ sich unmöglich annehmen, dass ein Dienstag tatsächlich auf einen Montag folgte. Und was besagte, dass ein Mittwoch ein Mitt woch war? Konnten manche Wochen nicht voller Montage sein, während andere alles außer Freitagen enthielten? Als Jannis seine Gedanken beim Mittagessen in Worte fasste, schlug er vor, dass man bestimmte Ereignisse als »so nahe, wie man einem Dienstag kommen kann, der keiner ist« betrachten sollte, während andere »typische Fälle von Donnerstag« waren. Für ihn persönlich war der Februar besonders reich an Samstagen gewesen, während im März zweieinhalb Sonntage pro Woche enthalten gewesen waren, wenn er richtig gezählt hatte. Diese Entdeckung, wahrlich verblüffend, erlaubte es ihm zudem, das Problem der Feiertage zu lösen. Es verhielt sich mitnichten so, dass manche Tage vornehmer waren als andere und deshalb rot. Auch in Bromölla enthielten die Tage Schaltknüppel und Schneeflocken und vieles andere, was er nicht zu vergessen wünschte. Aber sie waren ihrem Charakter nach verschieden. So wie die Trauer zwischen Herzschläge gepresst liegen oder die Freude zwischen klatschenden Händen leben konnte, so konnte ein Tag auch andere enthalten. War ein Tag besonders erinnerungswürdig und deshalb rot, handelte es sich unter Umständen um »einen doppelten Dienstag« oder »einen Mittwoch mit einer Prise Montag«.
    Von dieser Darlegung der Zeit n. A. mag man halten, was man will. So kann man etwa wie Doktor Florinos nach dem Mittagessen erklären, sie sei nicht besonders praktisch. Oder man kann sich wie Lily die Mundwinkel mit der Serviette wischen und sagen, dass eine Woche ohne Tage mit Nachtdienst toll wäre. Man kann viel meinen und tun, aber man kann nicht leugnen, dass Jannis einem Geheimnis der Zeit auf die Spur gekommen war. Warum waren manche Erinnerungen so überwältigend, dass sie wie Ereignisse erschienen, die weiter

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