Der letzte Joker
großer Mann, breitschultrig und Furcht einflößend, mit einem langen schwarzen Bart. Bündel erinnerte sich, dass sie ihn in der vergangenen Nacht an einem der Bakkarattische gesehen hatte.
Das also war Alfreds geheimnisvoller russischer Gentleman, der Eigentümer des Klubs, der fragwürdige Mr Mosgorovsky. Bündels Herz schlug schneller.
Ein paar Minuten blieb der Russe vor dem Tisch stehen und strich sich über seinen Bart. Dann zog er eine Uhr aus der Tasche und warf einen Blick drauf. Befriedigt nickte er. Wieder glitt seine Hand in die Tasche. Bündel konnte nicht sehen, was er hervorholte, weil er aus ihrem Blickfeld verschwand. Als er wieder erschien, hätte sie vor Überraschung fast geschrien.
Sein Gesicht war von einer Maske verdeckt, aber es war keineswegs eine gewöhnliche Maske, sondern nur ein Stück Stoff, das wie ein Vorhang vor dem Gesicht hing und zwei Schlitze für die Augen hatte. Ein Zifferblatt war aufgemalt. Die Zeiger standen auf sechs.
Die Seven Dials – die sieben Zifferblätter, überlegte Bündel.
In diesem Augenblick hörte sie ein Geräusch – siebenmaliges gedämpftes Klopfen. Mosgorovsky ging – wie Bündel vermutete – zum anderen Schrank. Sie vernahm ein scharfes Klicken und Begrüßungsworte in einer ihr fremden Sprache. Dann sah sie die Neuankömmlinge.
Sie trugen auch Uhrenmasken, aber die Zeiger zeigten andere Zeiten – fünf Uhr, vier Uhr. Beide Männer waren im Abendanzug. Der eine war ein eleganter, schlanker Mann. Die Grazie, mit der er sich bewegte, wirkte weniger englisch als ausländisch. Der andere Mann war dürr und ging etwas gebückt. Sein Anzug saß leidlich, und Bündel erriet seine Nationalität schon, bevor er den Mund aufmachte.
«Ich nehme an, dass wir die Ersten sind.» Eine volle, angenehme Stimme, amerikanischer Tonfall mit leicht irischem Akzent.
Der elegante Mann sagte in gutem, etwas steifem Englisch: «Es war gar nicht so leicht, heute Abend wegzukommen. Die Dinge entwickelten sich nicht immer günstig. Ich bin nicht, wie Nummer vier, Herr meiner Zeit.»
Bündel versuchte, seine Nationalität zu erraten. Bevor er gesprochen hatte, dachte sie, dass er Franzose sei, aber sein Akzent war nicht französisch. Vielleicht Österreicher oder Ungar – oder Russe?
Der Amerikaner ging auf die andere Seite des Tisches, und Bündel hörte, wie er einen Stuhl hervorzog. «Ein Uhr war ein großer Erfolg», sagte er. «Ich gratuliere Ihnen, dass Sie dieses Risiko gewagt haben.»
Fünf Uhr zuckte die Achseln. «Wer nichts wagt…» Er ließ den Satz unbeendet. Wieder ertönten sieben Klopfzeichen. Mosgorovsky ging zur Tür.
Bündel konnte niemand sehen, weil die ganze Gesellschaft aus ihrem Blickfeld verschwunden war, aber dann hörte sie die erhobene Stimme des Bärtigen: «Fangen wir an?»
Er kam um den Tisch herum und nahm neben dem Lehnstuhl an der Stirnseite Platz. Er sah direkt zu Bündels Schrank. Der elegante fünf Uhr setzte sich neben ihn. Den dritten Stuhl an dieser Seite konnte Bündel nicht sehen, aber der Amerikaner, Nummer vier, passierte kurz ihr Blickfeld, bevor er sich setzte.
An der Seite des Tisches, die ihr am nächsten war, konnte sie nur zwei Stühle sehen. Dann ging einer der Neuankömmlinge an ihrem Schrank vorbei und setzte sich Mosgorovsky gegenüber. Wer immer dort saß, kehrte Bündel natürlich den Rücken zu – und genau dieser Rücken war es, den sie voll Interesse anstarrte. Es war der tief dekolletierte Rücken einer schönen Frau.
Die Frau sprach zuerst. Ihre Stimme klang musikalisch, ausländisch – verführerisch. Sie blickte auf den leeren Stuhl an der Stirnseite des Tisches.
«Wir werden Nummer sieben heute Abend wieder nicht sehen?», fragte sie. «Sagen Sie mir, meine Freunde, werden wir ihn je zu Gesicht bekommen?»
«Das ist gut», sagte der Amerikaner. «Verdammt gut! Ich glaube allmählich, dass Nummer sieben gar nicht existiert!»
«Ich würde Ihnen raten, nicht so zu denken, mein Lieber», sagte der Russe freundlich.
Es entstand eine Pause, eine unangenehme Pause, das fühlte Bündel. Sie starrte immer noch fasziniert auf den wunderschönen Rücken vor sich. Unter dem rechten Schulterblatt saß ein kleiner dunkler Leberfleck, der die Weißheit der Haut betonte.
Die Stimme des Russen, der anscheinend den Vorsitz führte, riss sie aus ihren Gedanken. «Wollen wir jetzt weitermachen? Erst zu unserem abwesenden Freund Nummer zwei!» Er vollführte mit den Händen eine merkwürdige Geste in Richtung
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