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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Die Streife war eine Pleite – das war nicht mehr wegzuleugnen. Da hatte man endlich einen Erfolg in der Hand, man konnte ein wichtiges Verbindungsglied der geheimnisvollen Truppen in den Bergen fangen … und da war so ein lausiger Zigeuner und träumte von einem Stündchen unter verschneiten Tannen.
    »Wir hätten alles erfahren«, schrie der Unteroffizier und raufte sich die Haare. »Die Truppenstärke, die Bewaffnung, die geheimnisvollen Helfer in den Dörfern, die sie verpflegen … oh, wir hätten das Vögelchen zum Zwitschern gebracht! Wie eine Nachtigall hätte sie gesungen … aber da ist der Genosse Mormeth und poussiert. Es ist zum Kotzen, Genossen! Wir werden alle strafversetzt!«
    Es war eine düstere Stimmung im Wachlokal von Tanescu. Am düstersten war sie bei Mormeth. Als Zigeuner wurde er sowieso nicht ganz voll genommen. Nur der Sieg der Roten Armee hatte es mit sich gebracht, daß er in die Uniform steigen konnte und so stolz sein durfte wie die anderen. Er ließ sich als ›Befreier‹ feiern … nur seine Schwäche für das Weibliche vermochte auch die Uniform nicht in die Gleichförmigkeit des Soldatenlebens zu zwängen. Hier blieb er Zivilist und heißblütiger Zigeuner.
    Die Quittung für das Versagen der Gruppe von Tanescu kam prompt am übernächsten Tag. Aus Bacau, der Stadt, in der die Verwaltung saß, brachte ein Kurier auf einem Motorrad den Befehl: Am 15. treffen neue Milizeinheiten in Tanescu ein. Die jetzige Gruppe wird nach Baile Slanic, an den Fuß des Namira, versetzt.
    »Oh!« schrie der Unteroffizier, als er den Befehl laut vorgelesen hatte. »An den Namira! Wo die Wölfe tanzen und die Füchse vor Einsamkeit und Heimweh sterben … Oh … wir sollten alle den Genossen Mormeth umbringen!«
    Stepan Mormeth war von diesem Tag an ein Ausgestoßener. Er wurde von seinen Milizkameraden nicht mehr angesprochen oder gegrüßt … selbst zu essen bekam er nichts. Die Portionen verteilte der Unteroffizier … er teilte Mormeths Ration einfach unter die anderen auf.
    »Friß Schnee oder Moos!« schrie er Mormeth an, der nach seinem Anteil fragte. »Sei froh, daß wir dich nicht aufhängen, Genosse!«
    So kam Stepan Mormeth auf der Suche nach etwas Eßbarem in das Haus des alten Mihai Patrascu. Als er in der großen Küche Sonja am Ofen stehen sah … sie kochte saure Schafsmilch ein, um aus ihr Käse zu machen … blieb er entgeistert stehen. Dann wandelte sich seine Überraschung in Freude und Begeisterung.
    »Ei – der junge Falke!« sagte er, breit grinsend. Seine weißen Zähne leuchteten wieder, denn der Schein des offenen Feuers huschte über sein braunes Gesicht.
    »Was willst du?« Aus der Ecke, wo der gezimmerte Tisch stand, mit der runden Bank und den alten, geschnitzten Stühlen, kam Anna Patrascu, die Mutter. Sie humpelte an einem Stock, denn vor Jahren hatte eine kalbende Kuh sie im Geburtsschmerz getreten und die Kniescheibe zertrümmert. Dr. Georghe Brinse hatte sie zwar sofort nach Bacau geschafft und der Arzt in Bacau sie mit einem Wagen in das große Spital von Ploesti gefahren, aber die Kniescheibe bekamen die Chirurgen auch in Ploesti nicht hin. Sie blieb steif, das Bein wurde zwei Zentimeter kürzer. Und nun humpelte Anna Patrascu am Stock durch ihr weiteres Leben, gottergeben und sich abfindend mit dem Spruch: »Da kann man nichts machen. Vielleicht in Amerika oder Deutschland oder Rußland …« Aber Amerika, Rußland und Deutschland waren weit, zu weit für eine Anna Patrascu, der der Hof gerade genug gab, um zu leben. Und das würde er auch tun mit einem steifen Bein.
    Stepan Mormeth sah Anna Patrascu kritisch an. Die Alte sah nicht aus, als wenn sie Spaß verstünde. Jetzt, bei der Gewöhnung des Auges an das fahle Halbdunkel, sah er auch den alten Patrascu am Tisch sitzen. Er sah Mormeth an, rauchte aus seiner selbstgeschnitzten Pfeife und hatte ein großes Messer vor sich auf der Tischplatte liegen.
    Mormeth wurde vorsichtig und grüßte höflich und ein wenig überschwenglich nach Zigeunerart.
    »Habt ihr eine Scheibe Brot, Genossen?« fragte er. »Und ein wenig Käse?«
    »Für dich?« fragte Anna grob zurück.
    »Ja, Mütterchen.«
    »Ich bin nicht euer Mütterchen! Ich müßte mich dessen schämen!«
    Mormeth biß sich auf die Lippen. Er nahm es hin … er war es gewöhnt. Ein Zigeuner gilt nichts … hier nicht in Rumänien … nirgends auf der Welt … vielleicht nicht einmal im Himmel. Wer wußte es … waren darum die Lieder so traurig, die vom Himmel

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