Der letzte Karpatenwolf
»Ich habe geglaubt, du seist eine Ausnahme. Aber es war nicht so. Man soll keine Weiber bei sich haben, wenn es um große Dinge geht.«
Er duckte sich. Vom Rand der Schlucht bellten Minenwerfer auf. Ihre Wurfgeschosse zerplatzten zwischen den Höhleneingängen. Irgendwo schrie jemand auf. Grell, langgezogen. Dann sah man ihn … ein junger Legionär. Die Hände auf den Leib gepreßt, rannte er schreiend auf den Waldrand zu. Er lief in eine MG-Garbe, die ihn niedermähte wie reifes Korn. Bevor er auf das Gesicht fiel, war sein Körper zu einem Sieb geworden.
Neculae Tripadus sah auf seine junge Frau. Sie lag hinter dem MG und schoß. Der Rückschlag des Kolbens, den sie fest in die Schulterbeuge gepreßt hatte, ließ ihren Körper zittern, wie in einem Schüttelfrost.
Vera Tripadus, dachte Neculae. Für sieben Stunden nur … und nur dem Namen nach … Wie schön hatte es werden sollen … in einem freien Rumänien …
Im Rücken der Legionäre verstärkte sich das MG-Feuer. Das russische Bataillon kam näher.
Neculae Tripadus kroch näher an Vera heran. Er wälzte sich über sie, während sie schoß. Sein schwerer Körper drückte sie nieder, der Lauf des MG's ragte in den Himmel und beschoß die Wolken.
»Was tust du, Neculae?« schrie Vera. Sie wollte sich herumwälzen, aber Tripadus drückte ihren Kopf in die Steine. Dann setzte er seine Pistole an ihren Nacken und schoß.
Mit einer Frage auf den Lippen starb Vera. »Was …«, schrie sie noch.
Neculae sah auf den vom Pulverdampf verbrannten Einschuß. Dann richtete er den Oberkörper weit empor … hob sich über die Deckung und sah stolz hinüber zum Eingang der Schlucht.
Eine Flut von erdbraunen Uniformen ergoß sich in den Kessel … das Kampfgeschrei der Sowjets, das schreckliche »Urrrräh!« hallte tausendfach wider.
Neculae stemmte sich über Vera empor. Hoch aufgerichtet stand er auf dem Felsvorsprung, eine lebende Scheibe.
Erst nach drei MG-Salven fiel er um. Es war, als sei er in die Felsen festgewurzelt.
Als die Sowjets das Lager eroberten, fanden sie 271 Tote und eine Frau.
Niemand wußte, wer sie war. Sie wurde neben Neculae Tripadus begraben, weil man sie nebeneinander gefunden hatte.
Nur einer entkam dem Abschlachten. Ein junger Legionär. Wassile Popa hieß er. Während die Russen die Toten aufsammelten, konnte er durch das Unterholz wegkriechen und sich verbergen. Er flüchtete in ein Dorf und weinte, als er in Sicherheit war.
»Nur er ist schuld!« schrie er immer wieder. »Er hat uns verraten. Dieser deutsche Soldat, der von uns flüchten konnte! Er war es! Nur er! Gott verfluche ihn!«
Für Wassile Popa wurde dieser Gedanke zu seinem Lebensinhalt. Er dachte an nichts anderes mehr.
In der Nacht wurde Michael nach Tanescu gebracht. Der alte Arzt Georghe Brinse holte ihn ab. Sonja und er stützten ihn, als sie die Wiese hinabstiegen. Grigori, der Blöde, blieb zurück. Er hatte Michael noch heimlich sprechen können.
»Bleib im Dorf bei dem Mädchen, Kumpel«, flüsterte er an der Schafhürde. »Die ist verrückt nach dir. Ich habe so etwas wie von einer Amnestie gehört … wenn die durchkommt, sind wir alle frei. So lange muß ich den Blöden und du den Liebhaber spielen …«
»Ich liebe Sonja wirklich … ich spiele es nicht«, sagte Michael Peters fest.
»Um so besser! Ich werde dich ab und zu besuchen kommen … Immer nur den Taubstummen zu spielen macht auf die Dauer wirklich blöde. Also – mach's gut, Kumpel!« Er klopfte Michael freundschaftlich auf die unverletzte Schulter und wandte sich ab. Sonja kam zur Hürde, um Michael abzuholen.
»Die Miliz macht heute eine Streife in dem Nachbardorf«, sagte sie. »Wenn wir schnell gehen, erreichen wir Tanescu, ohne daß uns jemand sieht.«
Sie stiegen fast zwei Stunden abwärts ins Tal. Die letzte Strecke mußte Michael fast getragen werden. Seine Beine knickten ein, er hatte das Gefühl verloren, ob er sie hob oder ob sie auf der Erde waren. Die Nacht um ihn herum war ein riesiger Kreisel, der vor seinen Augen, brummte. Er hing zwischen Brinse und der unter seiner Last keuchenden und schwitzenden Sonja wie eine Puppe, deren Glieder ausgerenkt waren.
So schleppten ihn die zwei von hinten in das Dorf hinein und legten ihn in der großen Stube der Patrascus auf die Holzbank. Kaum lag er, schlief er vor Erschöpfung ein. Er sah nicht einmal mehr, wo er war. Er bemerkte nur Feuerschein, einige im Halbdunkel schwimmende Gesichter, die zerflossen wie auf Glas ausgeschüttete
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