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Der letzte Karpatenwolf

Der letzte Karpatenwolf

Titel: Der letzte Karpatenwolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit ihr war sein Glaube gestorben.
    Die Stimme Sonjas riß ihn aus seiner Erinnerung zurück in die helle Wirklichkeit. In den Frühlingstag, der mit seinem Sonnenschein blendend vor der Hüttentür stand.
    »Komm – ich werde dich rasieren«, sagte Sonja. »Ich habe alles mitgebracht. Ich habe Väterchen auch immer rasiert, ich kann das. Ich schneide dich nicht. Komm, setz dich auf den Stuhl ans Fenster … Ich will wieder den jungen Mihai aus dir machen.«
    »Rasieren?« fragte Michael dumm. »Du willst mich …«
    Er strich sich wieder über das Gesicht, über den Bart, über den Hals, an dem die Stoppeln hinunterliefen bis zu den Schlüsselbeinen.
    »Setz dich!«
    Gehorsam ließ er sich auf den Stuhl nieder, den Sonja an das Fenster gerückt hatte. Während er sein Hemd von der gesunden Schulter herunterzog und mit entblößtem Oberkörper dasaß, rührte Sonja in einer Tasse Seifenschaum an. Dann tauchte sie zwei Finger in den Schaum, trug ihn auf das Gesicht Michaels auf und zerrieb ihn auf und in die Barthaare.
    »Machst du das immer so?« fragte er, Schaum von seinem Mund wischend.
    »Immer –«
    »Ohne Pinsel?«
    »Mit den Fingern geht es besser.«
    Sie nahm das klappbare Rasiermesser, rieb es an ihrem Jackenärmel ab, indem sie mit den Fingern den Ärmelrand faßte und straffzog, und strich mit dem Zeigefinger über die Schneide.
    Michael sah ihr zu. Wie schön sie ist, dachte er. Es gibt bestimmt kein schöneres Mädchen als sie. Ob sie mich schlägt, wenn ich sie küsse? Ob sie wegläuft …?
    Er legte den Kopf weit zurück, als sich Sonja von hinten über ihn beugte. Ihre Augen waren jetzt ganz nah, groß und glänzend. Ihre Lippen waren rot und feucht. Er atmete tief und hastig. Wieder überkam ihn das merkwürdige Gefühl, das er verspürte, als er Vera Mocanu küßte. Ein Gefühl, das er nicht einordnen konnte in sein Leben. Aber es war herrlich und wie betäubend.
    »Küß mich«, sagte er leise. Sonja schüttelte den Kopf. Er sah es nicht. Nur ihre Augen sah er, wie sie schwankten, hin und her.
    »Erst rasieren –«
    Da schloß er die Augen. Der erste Messerstrich knirschte und hakte an den langen Haaren. Dann ging es schmerzlos. Es war ihm, als falle mit diesen Messerstrichen seine Vergangenheit ab, sein schreckliches Greisentum, seine Fremdheit, als kehre die Jugend wieder, die sich unter den Haaren verkrochen hatte, als suche sie Schutz vor dem Grauen, das über sie hereingefallen war.
    Er wußte nicht, wie lange es dauerte. Als sie sagte »Fertig!«, blieb er mit zurückgebeugtem Kopf sitzen und hielt die Augen geschlossen.
    »Wie schön du bist«, sagte Sonja leise. »So glatt und jung …«
    »Jung? Wirklich jung?« stammelte er. »Ist das wahr?«
    »Sieh es dir doch an …«
    Er schlug die Augen auf, riß den Kopf nach vorn und tastete gleichzeitig über seine Wangen und das Kinn. Alles war eben, glatt, so glatt, als sei es kein Gesicht mehr, sondern eine Eisbahn.
    Sonja stand vor ihm und hielt ihm den Spiegel, den sie mitgebracht hatte, entgegen. Er sah sich darin … bleich zwar, verhungert, schmal … aber er erkannte sich wieder. Er war es. Es war kein Fremder mehr.
    »Ich bin es …«, keuchte er. »Sonja … ich bin wiedergekommen. Ich … ich …«
    Er sprang mit einem Satz auf, biß die Zähne aufeinander, um nicht vor dem Schmerz in der Schulter aufzuschreien, riß mit dem gesunden Arm Sonja an sich und küßte sie. Er küßte sie wild, hart, sie an sich zwingend, daß ihr der Atem versagte.
    »Mihai!« stöhnte sie. »O Mihai … ich ersticke! Du bringst mich ja um … Nicht … nicht … o Mihai … Mihai …«
    Später saßen sie im Gras, in der Sonne, am Waldrand. Sonja hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt. Sie sahen hinab ins Tal, auf die Schafherde, auf den blöden Grigori, der bei einem Mutterschaf kniete und einem Lamm auf die Welt half.
    Michael spielte mit Sonjas Haaren … er war so glücklich, daß ihm alles gleichgültig wurde … die Miliz im Dorf, die Russen in der nächsten Stadt, der wilde Stepan Mormeth, das Deutschland, in das er zurückwollte und für das er monatelang in Höhlen und unter Steinen und Bäumen vegetiert hatte … er wollte an nichts mehr denken als nur an Liebe. Was gab es denn noch auf der Welt für ihn als diese Liebe? Hatte er anderes zu hoffen, Wertvolleres zu verlieren, Schöneres zu erträumen?
    »Werden mich deine Eltern verstecken?« fragte er.
    »Onkel Georghe wird mit ihnen gesprochen haben.«
    »Und wir werden nie mehr

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