Der letzte Karpatenwolf
auseinandergehen? Ich werde nie mehr in die Berge flüchten müssen?«
»Nie mehr, mein Mihai.«
Sie legte die Hand auf seine Wange. Er drehte den Kopf und küßte ihre Handfläche.
»Einmal werden sie auch die Deutschen begnadigen«, sagte er, wieder unsicher werdend.
»Das werden sie bestimmt. Sie können doch nicht immer hassen …«
»Nein. Das können sie nicht.«
Von der Herde winkte ihnen Paul Herberg zu. Er stemmte das neugeborene Lämmchen hoch mit beiden Händen in die blendende Morgensonne. Sonja und Michael winkten zurück. Sie lachten glücklich.
»Der gute Grigori«, sagte Sonja. »Wenn er sprechen könnte, wäre er bestimmt ein Held geworden.« Sie stockte. Der Begriff Held ging unter im Gedanken an den Krieg. »Du«, sagte sie ernst. »Warum müssen wir euch eigentlich den Russen ausliefern?«
»Ich weiß es nicht –«
»Und warum bist du in Rumänien?«
»Ich weiß es nicht.«
»Warum war eigentlich Krieg?«
»Ich weiß es nicht. Weißt du es?«
»Nein.« Sie starrte hinunter ins Tal, wo das Dorf lag, das elterliche Haus, die Miliz, Stepan Mormeth und der gnadenlose Alltag. »Wir wissen alle so wenig. Und wenn alle Menschen es so wenig wissen wie wir … warum war dann eigentlich Krieg?«
Eine Frage, die mit den Menschen geboren wurde und die erst verlischt, wenn der Mensch sich selbst zerfleischt hat.
In den Vrancei-Bergen hatte man vor langem die Hochzeit gefeiert. Es war eine Hochzeit, wie sie nur in diesen Jahren möglich war: Ein aus einer Dorfkirche entführter Pope schloß die Ehe und segnete mit zitternden Armen das Brautpaar. Die Trauzeugen standen mit Maschinenpistolen neben dem Popen … auf einem langen Stein, über den man einige Decken gelegt hatte, kniete das Brautpaar. Major Neculae Tripadus und Vera Mocanu.
Nach der Zeremonie wurde der Pope wieder weggeführt aus dem Felsenlager. Im Prasseln der Flammen des Lagerfeuers, über dem man ein Wildschwein briet, in den lauten Dankesworten Tripadus', der eine Rede an seine Soldaten hielt, ging ein dünner Schuß unter, der weit in den Bergen fiel.
Noch während das Schwein zerlegt wurde, kam die Eskorte, die den Popen ins Dorf bringen sollte, zurück. Der junge Leutnant, der sie führte, nickte auf einen fragenden Blick Tripadus'.
»Für uns beginnt der Krieg erst jetzt!« sagte Major Neculae Tripadus laut. Er drückte seine Frau Vera an sich und küßte sie vor allen Soldaten. »In Europa schweigen die Kanonen … aber man soll Rumänien nicht vergessen. Der König hat es an die Sowjets verraten … wir holen es aus den roten Händen zurück! Es gibt nur ein freies Rumänien! Vaterland oder Tod, Jungs!«
»Vaterland oder Tod!« echote es in der Schlucht und wurde von den Felsen zurückgeworfen.
Es wurde eine merkwürdige Hochzeitsnacht.
Statt in Neculaes Armen lag Vera auf einem Felsvorsprung und schoß mit einem deutschen Maschinengewehr. Um sie krepierten Gewehrgranaten und leichte Minen und platzten die russischen Explosivgeschosse zwischen den Steinen.
Vom Tal herauf war eine russische Kompanie gekommen. Sie hatte die ersten Posten überrumpelt. Es war nicht schwer gewesen, denn die Posten hatten Wein bekommen und saßen in froher Runde, die Hochzeit ihres Majors feiernd.
Nur einer war zurückgekommen, verfolgt von den sowjetischen Soldaten, und alarmierte das Lager.
Sechs Stunden lagen die Russen unter dem Sperrfeuer der Legionäre. Dann donnerte es im Tal auf … Artillerie war herbeigerufen worden … ein Bataillon kletterte durch die unwegsamsten Felsen, um den Bergkegel der ›Grünhemden‹ zu umgehen und sie von hinten anzugreifen.
Neculae Tripadus übersah die Lage, als die ersten Granaten in den Kessel einschlugen und die Felssteine sich mit den Splittern zu einem tödlichen Regen mischten. Im Rücken hörte er die ersten Maschinengewehre der Russen … noch lagen die hohen Felsen dazwischen, aber was sind Felsen, wenn Haß und Vernichtungsdrang zu Flügeln werden …
Er kroch durch das Streufeuer der sowjetischen Soldaten zu Vera Mocanu, die noch immer hinter ihrem MG lag und auf alles schoß, was sich jenseits der Schlucht bewegte. Sie lag gut getarnt hinter dicken Steinen, unbesiegbar auch für die Scharfschützen, die gegenüber auf die hohen Kiefern geklettert waren und die Legionäre wie Hasen abschossen, sobald sie sichtbar wurden.
»Du hast mir kein Glück gebracht«, sagte Tripadus dumpf zu Vera. Er lag neben ihr auf dem Felsen, aus einer Stirnwunde blutend, mit fanatisch glitzernden Augen.
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