Der letzte Karpatenwolf
Milch … er sah dunkles Gebälk, hörte dumpfe Stimmen, die so weit waren, daß sie wie Quellwasserrauschen klangen … dann war nichts mehr um ihn als ein Weggleiten aus allen Tönen und Eindrücken.
»Was soll ich damit?!« schimpfte der alte Mihai Patrascu. Er betrachtete den Schlafenden. »Er hetzt mir nur die Sowjets auf den Hals! Warum habt ihr ihn denn nicht bei dem blöden Grigori gelassen?«
»Er braucht Pflege. Siehst du denn nicht, wie schwer er verletzt ist?« Brinse schob ein Kissen unter den Kopf Michaels. Es war mit einer so väterlichen Behutsamkeit geschehen, daß der alte Mihai knurrend seine Pfeife ansteckte. Den Holzspan, mit dem er es tat, zertrat er auf den Dielen. Bei Gott, er war immer ein rauher Geselle gewesen.
»Und wenn er hier entdeckt wird, brennen sie uns das Haus ab. Und wir kommen nach Bacau ins Gefängnis! Auch Nächstenliebe hat eine Grenze, das sage ich!«
»Ich liebe ihn, Väterchen –« Sonja stand am offenen Herdfeuer und hatte einen Kessel für Tee aufgesetzt. Der alte Patrascu fuhr herum, als habe man ihn in den Rücken gestochen.
»Was tust du?« schrie er.
»Ihn lieben, Väterchen!«
»Einen Deutschen?«
»Was geht mich an, wo er geboren wurde?«
»Welches Unglück! Welches Unglück!« Mihai Patrascu ließ sich auf einen Hocker fallen und warf seine Pfeife auf den Tisch. Anna, die Mutter, schnitt Speck in eine Pfanne. Sie wollte noch Kartoffeln braten. Rübengemüse war vom Mittag noch übriggeblieben.
»Es wird sich alles finden«, sagte sie. »Zuerst soll er gesund werden. Unterm Dach wird er liegen, da sieht ihn niemand.«
»Bin ich ein Lazarett?« rief Patrascu.
»Ein Christenmensch, Väterchen.« Sonja goß das kochende Wasser über den Tee. »Gestern hast du noch den Osterkuß bekommen und Liebe zu allen Menschen gelobt.«
Mihai Patrascu schwieg verbissen. Er schielte auf den schlafenden Michael. Seine verletzte Schulter zuckte im Schlaf. Welch ein Jüngelchen, dachte er. Ein Milchbart, der ein Held sein sollte. Ein Muttersöhnchen, das die Milch mit dem Gewehr vertauschte. Der Krieg ist etwas Sinnloses, wirklich. Der Krieg ist gegen alle Natur.
»Bringt ihn hinauf«, sagte er dumpf. »Aber wenn man mir das Haus anzündet, drehe ich euch die Hälse um! Allen!«
Polternd verließ er die Hütte und stellte sich draußen an den Zaun des Gartens. Durch die Nacht sah er hinüber zu den Wäldern und Bergen. Dort kämmte die Miliz wieder die Felsenschluchten durch … seit zwei Jahren jetzt … jede Woche … und immer brachten sie jemanden mit. Einen Codreanu-Mann, von denen man sagte, daß sie in Bacau ohne lange Verhöre erschossen würden … ein paar verwilderte Deutsche, Landstreicher, einmal sogar einen russischen Deserteur, der Bacau gar nicht erreichte, weil man ihn auf der Flucht erschoß.
Mihai Patrascu stand vor dem Haus, bis Sonja herauskam.
»Er ist oben, Väterchen. Er hat gegessen und ist sofort wieder eingeschlafen.«
»Worauf liegt er?«
»Er hat eine Strohmatratze und drei Decken. Und eine kleine Lampe.«
»Dann ist es gut.«
Der alte Patrascu verließ seinen Posten am Gartenzaun. Er tat so, als habe er nur frische Nachtluft schöpfen wollen. Wen ging es auch an, daß er Wache gestanden hatte …
Man sollte nicht sagen, daß der wilde Mihai auch weich sein konnte.
Die Wunde heilte langsam.
Jeden Tag kam Georghe Brinse zu den Patrascus, verband Michael, gab ihm schmerzstillende Tabletten und legte auf die sich schließende Wunde kühle Kräuter, die eine Entzündung verhinderten.
»Das sind alte Hausmittel«, sagte er. »Manchmal muß sich die hochgelehrte Medizin vor diesen uralten Rezepten verneigen.«
Sonja war, sooft sie es konnte, oben unter dem Dach bei Michael. Sie saßen dann an dem kleinen, wie ein Schlitz wirkenden Fenster und sahen hinaus auf die Felder, auf die Wiesen mit den Kuhherden und den Ochsengespannen, die den Pflug und die Egge zogen, eingespannt in das große Joch, das sie vor ihren großen Hörnern trugen.
Sie sprachen wenig miteinander … sie küßten sich stumm, erst scheu und zurückhaltend, dann leidenschaftlicher, reifer werdend an ihrer Liebe. In der vierten Woche, als die Schulterwunde verheilt war und Michaels Körper und Gesicht die knöcherne Härte des Hungers verloren hatten, als er sich so wohl fühlte, daß er das Versteck als zu eng und kümmerlich empfand, blieb Sonja die Nacht über bei ihm unter dem Dach.
Am nächsten Morgen kroch der alte Mihai Patrascu in das Versteck und setzte sich
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