Der letzte Krieger: Roman
neues elfisches Antlitz seinen Blick auf sich. Männer wie Frauen trugen das Haar lang. Manchen reichte es bis auf die Hüften hinab, andere hatten es aufgesteckt oder geflochten. Nicht alle Frauen besaßen die außergewöhnliche Schönheit, von der die Legenden sprachen, und nicht alle Männer glichen den edlen Sängern, die alten Schriften zufolge einst im Palast der Hochkönige ihre Dichtkunst dargeboten hatten. Aber allen war eine Würde zu eigen, die Athanor verwirrte. Gab es hier kein einfaches Volk? Keine Krüppel und Bettler? Seine aufgeschlitzte, von getrocknetem Blut steife Hose war mit Abstand das schäbigste Kleidungsstück weit und breit. Die Elfen dagegen trugen feine Stoffe oder weiches Leder, selbst wenn Flecken darauf hindeuteten, dass sie gerade noch Beeren gepflückt oder in der Erde gegraben hatten.
Als immer mehr von ihnen zusammenkamen, kippte die Stimmung. Die erste Neugier wich misstrauischen und feindseligen Mienen. Barfüßige Kinder sahen ängstlich zu Athanor auf. Andere zeigten mit dem Finger auf ihn und raunten sich Worte zu, die ihre Augen groß und rund werden ließen.
»Warum bringen sie einen Menschen hierher?«, fragte jemand im zunehmenden Stimmengewirr.
»Man sollte ihm wenigstens die Waffen abnehmen!«, forderte ein anderer.
»Menschen kann man nicht trauen.«
»Was kann er hier wollen?«
»Seht nur die vielen Haare in seinem Gesicht! Er hat einen Pelz wie ein Tier.«
Nur weil ich mich ein paar Tage nicht rasiert habe? Athanor schüttelte den Kopf. Sollten sie schimpfen und gaffen, so viel sie wollten. Solange niemand ernst zu nehmende Waffen zückte, war es ihm gleich. Vielleicht sollte er ein paar Grimassen schneiden, damit das Spektakel perfekt wurde.
In diesem Augenblick sprang Elanya vom Pferd und entließ den Fuchs mit einem kleinen Wink. Auch Davaron glitt von seinem grauen Hengst, und gemeinsam trabten die Pferde auf dem Weg zurück, den sie gekommen waren. Mit ihren langen Mähnen und fließenden Bewegungen strahlten sie eine Schwerelosigkeit aus, die selbst die Elfen für einen Moment von ihrem Unmut ablenkte. Aber kaum waren die Tiere außer Sicht, richteten sich alle Blicke wieder auf Athanor. »Tja, dagegen kannst du nicht anstinken«, murmelte er seinem Muli zu. »Obwohl man dich deutlich früher riecht als sie.«
Schon wurden in der Menge wieder Stimmen laut, die forderten, den Menschen dorthin zurückzuschicken, wo er hingehörte. Aus ihrer Sicht vermutlich in einen Käfig mit sehr vielen Schlössern. Was hatten irgendwelche Altvorderen getan, um die Elfen dermaßen gegen die Menschen aufzubringen?
Elanya wich einen Schritt zur Seite und gab Athanor den Blick auf einige Elfen frei, die den Weg versperrten. Zuvorderst stand ein älterer Mann mit ergrauendem Haar, der eine Robe aus dunkelgrüner Seide trug. Verschlungene Ranken waren in einem helleren Ton in den Stoff gewoben, der ein Vermögen kosten musste.
Als der Mann gebieterisch die Hand hob, verstummte die Menge und wandte sich ihm zu. Vielleicht war Peredin einem König doch ähnlicher, als Elanya ihn beschrieben hatte.
»Söhne und Töchter Ardas«, sprach er mit klarer, kräftiger Stimme, »Söhne und Töchter Piriths, die ihr bei uns zu Gast seid, hört mich an! Dies ist ein ungewöhnlicher Tag. Ein Tag, an den wir uns noch lange erinnern werden. Lasst ihn nicht zu einem Ereignis verkommen, dessen wir in Scham und Schande gedenken müssen. Dieser Fremde ist einer Einladung gefolgt. Ist es gerecht, ihn nun mit Verachtung und Argwohn zu empfangen? Ich sage: Nein. Lasst die Vergangenheit heute ruhen.«
Genau. Hassen könnt ihr mich morgen wieder. Vielleicht erzählt mir bis dahin auch jemand, warum.
»Fremder«, richtete sich der Älteste nun an Athanor. »Seit fast tausend Jahren sind die Kinder Kaysas in unserem Land nicht mehr willkommen. Aber die Welt verändert sich. Das Zeitalter der Menschen endet, und ein neues Zeitalter bricht an. Wir wollen die Stimme der Menschen noch ein letztes Mal hören, bevor sie für immer verstummt.«
Athanor fasste Peredin schärfer ins Auge. Soll das heißen, ihr tötet mich, wenn ihr genug von mir habt? Doch er konnte keine Feindseligkeit im Blick des Ältesten entdecken.
»Seid willkommen in Ardarea, Fremder«, fuhr Peredin fort. »In diesem Haus werdet Ihr alles finden, um Euch von Eurer Reise zu erholen.« Er deutete auf eines der merkwürdigen Gebäude, dessen Dach von den Kronen dreier Bäume gebildet wurde. »Wenn Ihr Euch gestärkt habt, werden wir
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