Der letzte Krieger: Roman
ihr Atem und Sicht.
Im nächsten Augenblick blendete sie grelles Licht. Kurz darauf übertönte Donner sogar das Heulen des Windes in ihren Ohren. Sie zog den Kopf noch weiter ein, um die Augen zu schützen, und spähte hinter sich. War Elidian noch an ihrer Seite? Im Auflodern des nächsten Blitzes glaubte sie, etwas flattern zu sehen. Wie weit waren sie noch von Theroia entfernt?
Eine neue heftige Böe sprang sie an und warf Sturmfeder beinahe auf den Rücken. Mahalea hielt sich fest, glich die Schwerkraft aus. Der Greif taumelte durch die Luft wie betrunken. Mit seinem ganzen Geschick versuchte er, den Wind zu reiten, doch er wurde nur noch umhergeschleudert. Mahalea gab auf. Sie mussten landen. Sie gab Sturmfeder das Zeichen und hoffte, dass Elidians Greif ihnen folgte.
Die Nacht hindurch hatte Athanor seine wachsende Unruhe auf die Angriffe der versprengten Untoten geschoben. Zu einem ungestörten Schlaf hatten sie seinem Heer nicht gerade verholfen, weshalb er lange vor dem Morgen den Aufbruch befohlen hatte. Doch auch jetzt, da die Sonne längst hoch am Himmel stand, trieb ihn eine Rastlosigkeit an, für die er keine Erklärung fand. Hatte er es etwa eilig, nach Theroia zurückzukommen? Zwei Jahre lang hatte er seine Heimatstadt gemieden, hatte sich stets außer Sichtweite gehalten, um die Überreste seines früheren Lebens nicht sehen zu müssen. Und nun ritt er direkt darauf zu.
Er kannte die Gegend, den Verlauf der breiten, einst viel benutzten Handelsstraße und die niedergebrannten Dörfer zu ihren Seiten. Wie oft war er sie entlanggezogen? Auf die Jagd, zum Vergnügen, in den Krieg. Er erinnerte sich an die Bauern auf den Feldern, an das Vieh auf den Weiden und die Kinder, die zwischen den Häusern gespielt hatten. Jetzt war alles leer und still. Es roch nicht einmal mehr nach Asche.
»Hier stimmt etwas nicht«, brummte Orkzahn, der neben ihm herstapfte.
Athanor schnaubte. »Fällt dir das auch schon auf?«
Der Troll bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. »Ich rede nicht von den zerstörten Häusern.«
»Sondern?« Von den fehlenden Tieren? Der schwülen Hitze, obwohl es Nacht für Nacht Gewitter gab? Dem grauen Dunstschleier vor der Sonne?
»Von den Pflanzen.«
»Seit wann nimmst du Grünzeug überhaupt wahr?«, wunderte sich Athanor. Immerhin lehnten die Trolle es sogar ab, ihr Fleisch mit getrockneten Kräutern zu würzen, weil es den Geschmack verfälschte.
»Ich esse es nicht, aber ich sehe es.«
Athanor ließ seinen Blick über das Gras und die Büsche am Wegrand schweifen. Blätter und Halme waren zwar grün, doch sie hingen schlaff herab. Er zuckte mit den Schultern. »Welkes Laub. Nicht ungewöhnlich in langen, trockenen Sommern.« Trocken? Der Dunkle sollte ihn holen, wenn dieser Sommer nicht der verregnetste seit Jahren war. Lag es an der Hitze? Zu viel Feuchtigkeit? Immerhin war die Straße so schlammig, dass die Trolle tiefe Spuren hinterließen. »Du meinst, zuerst sind die Tiere geflohen, und jetzt sterben die Pflanzen, weil sie nicht weglaufen können?«
»Ich sehe, dass sie krank sind. Warum, weiß ich nicht«, erwiderte Orkzahn nur.
Hadons Hauch. Nur wenige Theroier hatten gewagt, den Dunklen beim Namen zu nennen, doch jeder kannte seine Macht, die in der Nähe der Toten und Sterbenden wirkte, um andere mit in sein Schattenreich zu ziehen. König Xanthos’ Erweckung war gegen den Willen des Dunklen undenkbar. Diente sie ihm stattdessen als Weg, seine Finger nach dem Diesseits auszustrecken?
Wieder erfasste Unruhe Athanor. Was erwartete ihn dort, wo er zugesehen hatte, wie sein Vater das fatale Bündnis eingegangen war? Er erkannte eine Abzweigung und trieb sein Pferd zum Galopp. »Ich bin bald zurück!«, rief er Orkzahn zu, ohne sich umzublicken.
Der Weg führte in den Wald und nach einer Weile stetig bergauf. Einst war er ganz in der Nähe mit Theleus einem Keiler nachgestellt, der ihm die erste Narbe ins Bein gerissen hatte. Nun eroberte das Unterholz den Hirtenpfad zurück, und Athanors Pferd brach durch das Dickicht wie der wilde Eber. Es trug ihn bis zum Kamm der Anhöhe hinauf, wo er es anhielt, bevor es auf der anderen Seite in den Abgrund stürzen konnte. Vor ihm fiel das Hügelland steil zur daranischen Ebene ab, durch die sich der vom Unwetter aufgewühlte Sarmander wand. Jenseits des Flusses erhob sich eine einsame Anhöhe aus dem flachen Land. Sie war nicht gewaltig, und doch wirkte sie in der Ebene beinahe wie ein Berg.
Als Athanor sie das letzte Mal
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