Der letzte Krieger: Roman
schon, die Rokkur hätten dich erwischt.«
»Sie versuchen es immer wieder, aber du weißt ja, wie ich bin«, erwiderte Athanor in Anspielung auf eine Begegnung mit einem Orross, dem der Händler und er gemeinsam den Garaus gemacht hatten. Auch wenn es dem korpulenten Zwerg an Gewandtheit fehlte, mangelte es ihm nicht an Mut und Entschlossenheit.
»O ja, ich erinnere mich.« Evrald strich sich versonnen über den Bart. »Die aufregendste Reise meines Lebens. Und wenn mich die Sonne nicht so sehr geblendet hätte, wäre ich derjenige gewesen, der das Biest abgestochen hat.«
Athanor sparte sich den Hinweis, dass der Orross sie bei Nacht angegriffen hatte, und klopfte dem Zwerg lachend auf die Schulter. Evralds Bart war lang und von dunklem Braun. Fein ziselierte goldene Röhrchen fixierten die Zöpfe, zu denen er ihn geflochten hatte, zu einem gegabelten Netz. Das Haar auf seinem Haupt war jedoch ein wenig ergraut, und die Freude in den Augen konnte den Trübsinn nur kurz aus seiner Miene vertreiben.
»Wie laufen die Geschäfte?«, erkundigte sich Athanor fröhlicher, als ihm zumute war. Er ahnte, was dem einst reichen Kaufmann Sorgen bereitete.
Prompt wich das Strahlen endgültig aus Evralds Blick. »Oh, schlecht, mein Freund, sehr schlecht. Ich versuche jetzt, mit den anderen Königreichen unter den Bergen Handel zu treiben, aber … Da bin ich nun einmal nicht der Erste. Mein Pfund, mit dem ich wuchern konnte, waren stets die Menschen. Und nun sind sie fort – bis auf dich. Und deinen Begleiter dort, wie es scheint.« Hoffnung leuchtete in den tief liegenden Augen des Zwergs auf. »Wo hast du ihn gefunden? Gibt es doch noch mehr Menschen, als wir dachten?«
Bedauernd schüttelte Athanor den Kopf. »Nein. Er war ein ebenso einsamer Wanderer wie ich. Sein Name ist Davar. Ich habe ihn weit im Südwesten getroffen, beim Stürzenden Fluss.«
Evrald näherte sich Davaron, der aufgestanden war, als Athanor dem Zwerg die Hand gereicht hatte. »Seid willkommen in den Königreichen unter den Bergen, Davar vom Stürzenden Fluss«, sagte er auf Theroisch und streckte dem Elf die Hand entgegen. Wenn man von seiner grummeligen Aussprache absah, beherrschte er die Zungen der Lether, Theroier und Nikener erstaunlich gut. »Ich bedaure das Leid, das Eure Völker erfahren haben, und wünschte, es wäre nie geschehen.«
Greif zu, du Idiot! , schimpfte Athanor im Stillen, als Davaron zögerte. Sollten sie etwa auffliegen, nur weil er sich davor ekelte, einen Zwerg zu berühren?
»Ich danke Euch für die freundlichen Worte«, brachte Davaron heraus und packte das Handgelenk des Händlers zum Kriegergruß. Nicht ganz passend, aber besser als nichts. Athanor ertappte sich dabei, erleichtert aufzuatmen. Der verfluchte Elf würde sie noch um Kopf und Kragen bringen.
»Mein Name ist Evrald, und ich lade Euch beide ein, Euch in meinem Heim von den Anstrengungen der Reise zu erholen«, verkündete der Zwerg mit einem weiteren neugierigen Blick auf ihr Gepäck.
»Das ist sehr großzügig von dir, Meister Evrald«, dankte Athanor auf Zwergisch, um Davaron zu ärgern. »Vor allem, nachdem wir so unfreundlich empfangen wurden. Die Torwächter haben uns eine Ewigkeit in der Vorhalle festgehalten.«
Evrald sah ihn erstaunt an. »Aber das tun sie doch immer, wenn Fremde zu uns kommen. Du weißt es nur nicht, weil du damals in meiner Begleitung warst. Sie müssen warten, bis die Wachposten weiter oben am Berg Entwarnung geben. Es könnte doch sein, dass ihr nur die Vorhut einer feindlichen Armee seid.«
Darauf wusste Athanor nichts zu erwidern. Es hatte wohl wenig Sinn, darauf hinzuweisen, dass sie sich auf diese Art auch neue Feinde schaffen konnten. Stattdessen beschloss er, den Händler nicht länger auf die Folter zu spannen. »Wir haben dir einige Ballen Brokat anzubieten. Die Faune, die ihn uns überlassen haben, versichern, dass er von kundiger Elfenhand gewebt wurde.«
»Brokat? Aus den Elfenlanden?« Erneut bekam der Zwerg diesen abwesenden Blick und strich sich über den Bart, doch in seinen Augen lag wieder Glanz. »Wie lange ist es her, dass ich so kostbare Ware bekommen habe?« Sein Bart wogte, als er die Erinnerungen abschüttelte. »Gehen wir! Ich kann es kaum erwarten, diesen Schatz zu sehen.«
Für seine Körperfülle eilte er erstaunlich flott voran. Athanor folgte ihm und gab Davaron einen Wink, sich anzuschließen. Die Hufschläge der Packtiere hallten in den endlos scheinenden Gängen, die allmählich in die
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