Der letzte Kuss
Mutter, wein doch nicht.« Er wurde schwach, wenn sie weinte. Das war schon immer so gewesen – was ihre Frage schon zum Teil beantwortete, fiel ihm dabei auf. »Wer hat dir das erzählt?« Er legte den Arm um sie und führte sie zu den Gartenstühlen auf der Terrasse.
Sie kniff die Augen zusammen. »Darum geht es jetzt nicht. Antworte mir.«
»Es geht darum, dass du nicht im Krankenhaus enden sollst.«
»Das werde ich auch nicht. Jetzt rede.«
Er stöhnte auf, bemerkte aber zugleich, dass sie kräftiger erschien, als sie es seit seiner Heimkehr gewesen war.
»Die Münzwette, Roman. Ich warte«, sagte sie, als er nicht schnell genug antwortete. Sie klopfte mit einem Fuß auf den Terrassenboden.
Er zuckte die Schultern. »Was soll ich dazu sagen? Zu dem Zeitpunkt schien es die beste Lösung zu sein.«
»Idioten! Ich habe Idioten großgezogen.« Sie verdrehte die Augen gen Himmel. »Oder nein – ich habe ganz typische Männer großgezogen.«
Sie hatte Recht. Er war ein typischer Mann, und als stolzes eingetragenes Mitglied dieser Art war ihm nicht wohl dabei, seine Gefühle und Empfindungen zu diskutieren. Aber er schuldete der Frau, die ihn, so gut sie konnte, allein aufgezogen hatte, eine Erklärung. Er ahnte, dass er sich Charlotte gegenüber genauso verhalten musste – wenn er eine zweite Chance haben wollte.
Und das wollte er.
»Wir beide haben neulich schon mal ansatzweise darüber geredet.« Roman beugte sich in seinem Stuhl nach vorn. »Ich war elf, als unser Vater starb. Ich habe dich in all deinem Schmerz erlebt. Gerade jetzt auf meiner Heimreise ist mir
deutlich geworden, dass mich diese Erfahrung dazu gebracht hat, mich von allem, was mir nahe steht, zurückziehen zu wollen. Mein Job als Journalist hat es mir erleichtert, unbeteiligt zu bleiben. Hier zuhause hätte ich mich niemals so distanzieren können. Nicht von dir und nicht von Charlotte.«
Raina vertrieb einiges von ihrem Ärger, ihren Ängsten und ihrer Frustration mit einem tiefen Atemzug. »Es tut mir Leid. Das alles.«
»Du kannst dir nicht am Schicksal die Schuld geben, oder an der Reaktion von jemand anderem auf die Umstände deines Lebens.«
Sie blickte ihn an. »Du verstehst es nicht wirklich.«
»Doch. Und ich liebe dich für dein Mitgefühl, aber reg dich deshalb nicht auf.« Er erhob sich. »Sonst berichte ich sofort deinem Arzt davon.« Eric oder seine Praxis-Partnerin würden seiner Mutter schon was erzählen, wenn sie ihre Gesundheit aufs Spiel setzte.
Roman kniff die Augen zusammen und sah seine Mutter prüfend an. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen und wenig Make-up auf den Wangen. Offensichtlich verwandte sie weniger Zeit auf ihr Aussehen. Weil sie schneller ermüdete?, fragte er sich. Sorge um ihn und Charlotte konnte alles nur schlimmer machen, und er versuchte sie zu beruhigen. »Du hast deine Sache unglaublich gut gemacht. Chase, Rick und ich, wir können selbst auf uns aufpassen. Das verspreche ich dir.« Er küsste sie flüchtig auf die Wange.
Sie stand auf und ging mit ihm zurück zur Garage. »Ich liebe dich, mein Sohn.«
»Ich dich auch, Mutter. Du hast ein gutes Herz und …«
»Roman, wo wir gerade von meinem Herzen sprechen …«
Er schüttelte den Kopf. »Jetzt wird nicht mehr geredet«, sagte er im sachlichen Ton eines Ausbilders. »Ich möchte, dass du dich hinlegst und dich ausruhst. Zieh das Rollo herunter und mache ein Nickerchen. Oder sieh fern. Irgendetwas. Hauptsache, du läufst nicht rum und grübelst über deine Söhne nach.«
»War ich es, oder hast du dieses Gespräch über eure dämliche Münzwette abgewürgt?«
Er lachte. »Dich kann man wirklich nicht reinlegen, aber nein, ich will dich nicht ablenken, sondern nur gesund erhalten. Ich habe deine Frage, wie wir zu der Münzwette kamen, beantwortet. Jetzt werde ich dir noch etwas verraten, damit du besser schläfst. Ich bin dafür dankbar. Ich betrachte die Ehe nicht länger als eine Strafe. Jedenfalls nicht, wenn sie mit der richtigen Frau geschlossen wurde.« Mit einer Frau, die nichts mit ihm zu tun haben wollte. Aber es war Zeit, eine Entscheidung zu erzwingen, beschloss er in diesem Augenblick.
Das Gesicht seiner Mutter leuchtete auf, ihre grünen Augen glänzten. »Ich wusste es, etwas hat sich geändert, seit du zurück bist. Aber was ist mit deinem kürzlichen … Wie drücke ich es vorsichtig aus? Mit deiner schlechten Laune?«
»Ich werde meine Probleme lösen, und du machst ein Nickerchen.«
Sie blickte ihn
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