Der letzte Kuss
verbrennst«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»Was ist mit dem Gefallen, den du mir tun sollst?«
Wollte er sie jetzt erpressen? Sie nahm an, er wollte ihr das Versprechen abnehmen, verschwiegen zu sein hinsichtlich der heutigen Eskapade und all der anderen Nächte, in denen er in Häuser eingebrochen war, um Höschen zu stehlen. »Ich werde dich nicht bei der Polizei verpfeifen«, sagte sie und startete damit einen weiteren Versuch, herauszufinden, was in seinem Kopf vorging. Sie hatte allerdings keine Ahnung, was sie Rick erzählen sollte, den sie nicht mit einer ungelösten Straftat sitzen lassen durfte.
Samson winkte ab, als wenn ihm das völlig egal wäre. »Dir ist doch klar, dass die Leute mich kaum beachten, es sei denn, sie laufen weg oder ignorieren mich. Ich kann direkt neben ihnen sitzen und alles über ihr Sexualleben mitanhören, weil sie denken, ich sei zu blöd, um zu wissen, wovon sie reden.«
Sie streckte ihre Hand aus, um ihn zu trösten, aber er sah sie so mürrisch an, dass sie sich zurückzog.
»Aber ich höre auch andere Sachen. Ich hörte neulich deine Mutter und deinen Vater reden. Sie leiden.«
Sie versteifte sich. »Dieses Mal geht es dich nichts an«, reagierte sie mit seinen Worten.
»Das stimmt schon. Aber wenn ich bedenke, wie du einem alten Mann, den du kaum kennst, immer eine Chance gibst … Ich finde, du solltest mit deinen eigenen Leuten dasselbe tun.« Er machte sich auf, über die Straße zu gehen, weg aus der Stadt zu seiner klapperigen Hütte hin. Ohne
Vorwarnung drehte er sich dann wieder zu ihr um. »Weißt du, manche von uns haben gar keine Eltern oder Verwandte.« Damit setzte er seinen einsamen Heimweg fort.
»Sam?«, rief Charlotte hinter ihm her.
Er drehte sich nicht noch einmal um.
»Du hast Freunde«, sagte sie laut.
Er ging weiter, ohne zu reagieren, aber sie wusste, dass er sie gehört hatte.
Sie blieb allein zurück, von seinen Taten zugleich gerührt und verwirrt. Sie wusste, dass sie sich mit Russell würde auseinandersetzen müssen, wenn ihr auch davor graute. Aber im Augenblick war es Samson, der sie beunruhigte. Was in aller Welt sollte sie Rick sagen?
Eine Liste von Begriffen schwirrte ihr im Kopf herum: Behinderung der Justiz und Mittäterschaft waren nur zwei davon. Aber sie brachte es nicht über sich, Samson zu verpfeifen. Dabei hatte ihre Rolle als Wachposten heute Abend nichts damit zu tun. Seine Straftaten waren harmlos, die Diebstähle vorbei. Sie glaubte ihm, wenn er sagte, es sei jetzt Schluss damit. Trotzdem schuldete sie der Polizei irgendeine Erklärung, nach der sie den Fall abschließen konnte. Keinesfalls durfte sie aber Samson damit in Gefahr bringen.
Charlotte biss sich auf die Unterlippe. Die Sonne war untergegangen und die Nacht hereingebrochen. Sie begann zu frieren und eilte mit stürmischem Schritt ihrer Wohnung entgegen, immer noch am Überlegen, was zu tun wäre.
Sie wünschte sich Roman herbei, damit er ihr einen Rat gäbe. Dieser Gedanke tauchte ungebeten und ohne Vorwarnung auf. Roman, der Journalist, der Advokat der Wahrheit. Wenn er hier wäre, könnte sie ihm ihr Geheimnis anvertrauen, weil sie wusste, dass er Samson beschützen würde. Ihr Herz begann heftig zu schlagen.
Wie konnte sie ihm ein derartiges Geheimnis anvertrauen wollen, ihm aber seine Worte nicht glauben: Ich liebe dich. Das habe ich noch nie zu jemandem gesagt. Ich will dich nicht verlieren. Und dann war da dieser schmerzliche Ausdruck in seinen Augen, als er ihr die Wahrheit offenbart hatte – zu einer Zeit, da er hätte verschleiern oder lügen können, um sie im Dunkeln zu lassen. Um Heirat und Kinder und das Familienversprechen zu sichern.
Er hatte nicht gelogen. Er hatte alles über die Münzwette aufgedeckt. Er musste jedoch gewusst haben, dass er dabei riskierte, sie zu verlieren.
Was war sie im Gegenzug bereit zu riskieren?
Die Morgensonne schien durchs Schaufenster, als Charlotte ihre Liste durchging. »Denk daran, nächste Woche eine Schüssel mit diesen Schokoladeneiern hinzustellen«, sagte sie zu Beth und hakte Punkt sechs auf ihrer Liste ab. »Aber lass sie bei der Kasse stehen. Wir wollen ja nicht, dass Schokolade die Ware ruiniert.« Sie kaute an ihrem Kuli. »Was hältst du davon, wenn wir für die Osterwoche in dem Laden in Harrington ein Hasenkostüm ausleihen? Vielleicht können wir die anderen Ladenbesitzer der First Street dazu kriegen, die Kosten zu teilen.«
Charlotte blickte zu Beth hinüber, die
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