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Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition)

Titel: Der letzte lange Sommer: Island-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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gehört?
    »Unfug«, murmelte sie, »Pferde sprechen nicht.« Und: »Dann bleib doch, wo der Pfeffer wächst.«
    Mach ich , grinste der Schimmel und steckte die Nase ins schlaffe Wintergras.
    Und so trottete sie zum Wiesentor, band den klapprigen Zaun wieder zusammen und sah sich noch einmal um. Sörli war losgelaufen. Mit traumwandlerischer Sicherheit trat er nicht auf das dahinfliegende Seil. Er galoppierte bockend und ausschlagend über die buckelige Wiese, wie sie es noch niemals zuvor bei einem Tier gesehen hatte, er streckte seine langen weißen Beine in die Luft und sprang, dass die Mähne nur so flog, und verschwand hinter dem Hügelchen, wo die Weide ins Tal hinunterreichte.
    Lies lächelte. Offenbar fühlte das Pferd sich hier drau ßen sehr wohl.
     
    Jói kam ihr aus dem Haus entgegen.
    »Elías geht es wieder gut«, sagte er. »Sein Zuckerwert ist in Ordnung, aber er muss weiter kontrolliert werden.« Das klang wie eine Aufforderung, die er jedoch nicht weiter ausführte. Lies verstand nicht, was er meinte, traute sich aber nicht zu fragen, wer hier was kontrollieren sollte. Außerdem hatte sie in Elías’ Zimmer nichts verloren.
    Aus der Hosentasche kramte er seinen Schlüssel hervor und ging zum Auto. »Muss los, bin spät dran. Wenn’s Probleme gibt – ruf an, du hast ja meine Nummer.«
    Die Autotür klapperte, er warf sich auf den Sitz. Da erst erwachte Lies aus ihrer Erstarrung, wie schnell er sich hier verabschieden wollte, und als der Motor schon röhrte, rannte sie los, auf das Auto zu, kurz bevor die Tür zuschlug.
    »Er hat gar kein Telefon«, rief sie.
    Jói steckte den Kopf aus dem Fenster.
    »Was sagst du?«
    »Elías«, keuchte sie, die Hand am Türgriff, als wäre die stark genug, das Auto aufzuhalten. »Elías hat kein Telefon. Ich kann nicht anrufen.« Und die Angst darüber kroch ihr die Speiseröhre hoch.
    Der Motor brummelte vor sich hin. Jói kaute auf seiner Lippe herum. »Stimmt«, sagte er.
    »Und nun?«, fragte sie leise. Die Sache mit dem Telefon wurde, nachdem sie geglaubt hatte, damit fertig zu werden, jetzt mit einem Mal existenziell. Kein Telefon auf Gunnarsstaðir. KEIN Telefon. Jói sah die Not in ihren Augen.
    »Jaaa«, sagte er. »Hm. Hast du denn kein Handy?«
    »Doch.« Hilflos schluckte sie. »Aber keinen Empfang.« Kein Telefon.
    »Hmmmmm.«
    Der Wind zauste an ihrem Haar, wie um sie abzulenken. »Und?«, fragte sie nach einer Weile wieder, mit ungewohnt kleiner Stimme. Er sah sie an, grübelnd und ein bisschen besorgt.
    »Hm. Das ist nicht schön.«
    »Nein«, flüsterte sie und klammerte sich an die Autotür.
    »Ach … passiert schon nichts. Und wenn’s ganz schlimm kommt, sattele den Schimmel und reite hinunter nach Höskuldstaðir. Das ist der erste Hof, auf den du triffst, wenn du das Tal verlässt. Etwa eine Dreiviertelstunde von hier. Dort gibt es ein Telefon, und die helfen dir weiter. Wenn es Elías schlecht geht, muss er ins Krankenhaus nach Egilstaðir.«
    »Reiten«, sagte Lies ungläubig.
    »Ja, reiten. Was sonst. Du kannst es doch, hab ich eben gesehen«, grinste Jói.
    »Aber …«
    »Du wirst es können, wenn du es brauchst.« Er zwinkerte ihr zu. »Und ich komme bei Gelegenheit mal wieder nach euch schauen. Okay?«
    Damit fuhr er davon, und die Staubwolke verschluckte das Auto.

6. Kapitel
     
    Bei Gelegenheit.
    Bei Gelegenheit. Jeden Tag sah Lies aus dem Fenster – wann die Gelegenheit kam.
    Sie kam nicht. Am nächsten Tag nicht, am übernächsten und am dritten Tag auch nicht.
    Gunnarsstaðir sank zurück in die Einsamkeit.
    Der Himmel wurde wieder grau, es nieselte. Zugvögel kamen vorbei, kreisten über dem Tal und flogen stumm wieder fort. Der Ort gefiel ihnen wohl nicht. Das Gras tat so, als würde es wachsen, winkte mit einzelnen grünen Halmen herum – Spielerei, mehr nicht. Wenn sie wieder hinschaute, waren die grünen Halme nämlich verschwunden, abgefressen von gierigen Wildgänsen, die in Scharen über die Wiesen herfielen. Was die Gänse übrig ließen, fraßen die Schafböcke, die sie eines Tages aus dem Stall ließ, weil es ihr dort zu voll wurde und die Böcke einfach nervten. Sie bekamen ihr Heu draußen serviert und hatten nun keinen Grund mehr, mit den Hörnern nach ihr zu stoßen. Lies mochte keine Böcke. Sie waren mit ihrem wei ßen Wollpelz auch keine Farbkleckse auf der Wiese, sie passten sich der gräulich müden Natur an und verschmolzen mit dem Boden. Wenn sie dalagen und dösten, sah es so aus, als wüchsen

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