Der letzte Massai
helfen könnte, da erhielt sie nur ein kühles »Hm« zur Antwort.
Ntooto war Nashilos Ersatzmutter, seit ihre Mutter, die ihr das Leben geschenkt hatte, bei einem Angriff der Kikuyu gestorben war. Ntooto war damals noch ein Kind gewesen. Als zweite Ehefrau von Nashilos Vater hatte sich Ntooto des Mädchens angenommen, als wäre es ihr eigenes. Die Bindung zwischen ihnen war nicht die einer Mutter und einer Tochter, aber in mancherlei Hinsicht viel enger. Sie konnten über Dinge reden, die zwischen Mutter und Tochter als unpassend angesehen worden wären.
Und da dies so war, wusste Nashilo, dass sie schon sehr bald erfahren würde, was Ntooto so verärgert hatte.
Und tatsächlich drehte sich diese nach einigem Gebrumme seufzend zu ihrer Adoptivtochter um und sagte: »Ich weiß, dass du Schwierigkeiten mit deinem Ehemann hast. Er wartet ungeduldig auf einen Sohn und hat oft schlechte Laune, aber du solltest vorsichtig sein, Nashilo. Du weißt, dass es verboten ist, dem jungen
Morani
beizuliegen. Es ist nicht von Bedeutung, dass er ein geachteter
Olaiguenani
ist. Dein Ehemann wird aufgebracht sein, wenn er davon erfährt. Und die Gefahr besteht, dass es ihm zu Ohren kommt, wenn selbst ich alte Frau, die ich mich niemals aus dem
Enkang
wegbewege, davon gehört habe. Dein Ehemann wird dich in seiner Wut noch mehr schlagen, als er es ohnehin tut, und dieses Mal wird er allen Grund dazu haben.«
Nashilo ließ sich auf den Schemel neben dem Kochfeuer sinken. Sie schloss die Augen und bedeckte ihr Gesicht. »Es tut mir sehr leid, dass du davon erfahren hast, Mutter. Es muss sehr beschämend für dich sein, dass die anderen Ehefrauen darüber Bescheid wissen.«
»Das ist es, mein Kind, aber das ist nicht der Grund, warum ich krank vor Sorge bin. Was soll aus dir werden, wenn dich dein Ehemann nicht mehr nur schlägt, sondern dich wegschickt? Was wird mit einer Frau geschehen, die keine Kinder zu gebären vermag und keine Familie besitzt, an die sie sich wenden kann?«
Nashilo zuckte mit den Schultern und vollführte eine Geste in Richtung ihres alten Dorfes.
»O nein«, sagte die alte Frau. »Sieh mich nicht so an. Dein Vater wird dich nicht wieder aufnehmen. Es wäre eine Schande, wenn er es täte. Ich vermag nicht zu sagen, was er tun würde. Und glaube nur nicht, dass dir der
Olaiguenani
zu Hilfe kommen wird«, fügte sie hinzu, ohne seinen Namen zu nennen. »Denn dann hätte er den Respekt seiner
Moran
verloren. Und es wäre für ihn in seiner Position eine große Schmach.«
»Was soll ich tun, Mama?«, jammerte Nashilo.
Ntooto vermochte sich nicht mehr länger zurückzuhalten. Sie umarmte Nashilo und wischte ihr die Tränen von den Wangen. »Es bleibt dir nur eins zu tun, Tochter. Du darfst dich nicht mehr mit diesem
Morani
treffen, der deine ganze Familie in den Abgrund stürzen könnte.«
Doch Nashilo wusste, dass sie Parsaloi niemals aus freien Stücken verlassen könnte. Allein der Gedanke daran, dass sie nach dem Wegzug aus dem großen Tal die Verbindung zu ihm verlieren könnte, erfüllte sie mit Angst und Schrecken.
Nkapilil Mantira und Parsaloi Ole Sadera standen in ein angeregtes Gespräch vertieft in der Nähe einer kleiner Ansammlungen von Büschen. Sie debattierten über den bevorstehenden Wegzug aus dem großen Tal.
»Aber was sollen wir tun, Parsaloi?«, fragte Mantira. »Wir sind wenige und die Weißen viele.«
»Manchmal ist es gar nicht nötig, mit Männern und Speeren zu kämpfen. Manchmal lässt sich ein Kampf mit Worten gewinnen.«
»Lenana hat schon viele Worte zu den Briten gesprochen, aber die sind stocktaub«, entgegnete Mantira. »Wie oft war er bereits in Nairobi? Wie oft waren die Briten in Ngong? Es ist sinnlos. Wir haben keine andere Wahl, als uns anzuhören, was sie zu sagen haben.«
»Und dann?«, erkundigte sich der jüngere Mann.
»Und dann müssen wir tun, was sie verlangen.«
Ole Sadera hielt an seiner Meinung fest. »Ich sage, wir haben uns zu früh geschlagen gegeben. Wir hätten uns ihnen widersetzen sollen.«
Mantira blickte ihn ungläubig an. »Bist du verrückt geworden? Siehst du denn nicht, dass unsere Zeit vorbei ist? Du bist ein junger Mann, aber du lebst in der Vergangenheit. Die Zeiten haben sich geändert.«
»Ja, ich mag in der Vergangenheit leben«, erwiderte Ole Sadera. »Aber ich bin der Ansicht, dass den alten Sitten auch heute noch ein Platz gebührt. Sie vermögen uns zu neuer Stärke zu führen. Wir müssen die Bräuche der Weißen lernen und
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