Der letzte Massai
Gesicht war kaum noch zu erkennen. Die Frauen hatten den größten Teil des Schlamms abgewischt, aber die Schwellung entstellte ihre wunderschönen Züge auf so grausame Weise, dass er für einen Moment die Hoffnung hegte, sich geirrt zu haben.
Er versuchte zu schlucken und ermahnte sich, dass Nashilo die Ehefrau eines anderen Mannes war und er weder über sich noch über sie durch eine übertriebene Zurschaustellung der Trauer und des Schmerzes Schande bringen durfte. Aber er verspürte mit einem Mal eine Schwäche in seinen Beinen und musste neben der nackten Leiche niederknien.
Er strich mit seiner Hand über ihr Gesicht, als könne er die Verletzungen mit der sanften Berührung seiner Fingerspitzen lindern. Ihre Haut fühlte sich so spröde an wie die windgepeitschten Felsen des Mau. Er zog seine Hand weg und starrte ungläubig darauf. Von nun an, egal, wie sehr er sich auch wünschen mochte, dass es anders wäre, würde er sich an diese letzte Berührung ihrer Haut – so kalt und hart wie Stein – erinnern. Er wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen.
Er bemerkte die verwirrten Blicke der Frauen und musste seine ganze Willenskraft aufbringen, um sich aufzurappeln.
Nun vermochte er die Spuren der Misshandlungen an anderen Teilen ihres Körpers zu sehen: die Kratzer und Quetschungen auf ihren Brüsten, die eingerissene Haut an ihren Beinen, die Blutflecke auf einem kurzen rauhen Stück Strick, das immer noch um eines ihrer Handgelenke geschlungen war, und unter ihrem kleinen, rundlichen Bauch die matte Röte zwischen ihren Beinen.
Die Frauen benötigten wenig Zeit und wenig Worte, um zu vermitteln, was geschehen war.
Ole Sadera zog seinen Speer aus dem Boden, wies seine Gefährten zurück, die ihm folgen wollten, und stürmte davon.
Am Rande des primitiven Dorfes begegnete er Nashilos Ehemann, der mit aschgrauem Gesicht auf die Frauen zueilte, die ihren Klagegesang fortsetzten. Die Blicke der beiden Männer begegneten sich kurz, ohne dass einer den anderen wirklich wahrnahm.
Ole Sadera schritt durch den Wald zum Rand des Steilhangs, wo er für einen Moment stehen blieb, um sich zurechtzufinden. Unter ihm wälzten sich die kahlen Hügel ins Great Rift Valley hinab, das immer noch im Morgennebel versteckt lag. Er wusste, dass er irgendwo dort unten Ploog und seine
Askaris
finden würde.
Er hob den Schild an seine Schulter, balancierte den Speer lose in seiner Hand und brach in einem leichten Laufschritt auf, der ihn bis zum Ende des Tages durch die Weite des Tales führen würde. Wenn Ploog sich auf dem Rückweg nach Naivasha befand, würde Ole Sadera ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit aufspüren und töten. Er bewegte sich in einem langsamen Trab bergab.
Als sich der Morgennebel hob, erblickte er auf der anderen Seite einer Falte im Steilhang ein Packtier, das sich bergauf bewegte. Ein Mann klammerte sich an seine Flanke. Ole Sadera verharrte, um den Mann genauer zu betrachten.
Es war George Coll. Er erkannte ihn an seiner schmächtigen Statur und seiner Eigenart, die Schultern nach vorn zu ziehen, als versuche er, seine Brust zu schützen. Er schien Schwierigkeiten zu haben, auf das Pferd zu steigen, und benötigte ganz offensichtlich Hilfe.
Der Massai verspürte einen solch brennenden Hass, dass er an nichts anderes als an seine Rache zu denken vermochte. Es war eine quälende Vorstellung, dass Ploog auch nur einen einzigen weiteren Augenblick straflos bleiben würde, während er sich anderen Angelegenheiten widmete. Nein, er musste Coll mit seinen Schwierigkeiten zurücklassen und seine Vergeltung üben. Er vermochte beinahe die Befriedigung zu schmecken, wenn er seine Klinge in Ploogs mächtige Brust stieß. Er konnte beinahe das Entsetzen in Ploogs Augen sehen, wenn er begriff, dass er dem sicheren Tod geweiht war.
Ole Sadera setzte seinen Weg bergab fort, blickte aber unwillkürlich noch einmal zu Coll hinüber. Er war zu Boden gefallen, doch das Pferd stapfte unbeirrt weiter.
Ole Sadera blieb stehen. Sein Hass glich einem schrecklichen Juckreiz, der ihm bis zu dem Moment zusetzen würde, in dem er sein Verlangen, sich zu kratzen, befriedigte. Doch er würde Coll nicht zurücklassen. Er nahm sich vor, kurz nachzusehen, wie er ihm helfen konnte, bevor er seinen Weg ins Tal hinunter fortsetzte.
Als er bei Coll ankam, erschrak er über dessen Anblick. Sein Freund war noch nie ein besonders starker Mann gewesen, doch nun wirkte er alarmierend gebrechlich. Auf seiner Weste war
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