Der letzte Massai
Coll hatte ihm geantwortet, er könne selbst auf sich aufpassen, und ihn gefragt, wie er darauf käme, dass ein Junggeselle wie er, der nichts weiter als Hurerei und das Wohlergehen seiner Rinder im Kopf hatte, in der Lage wäre, ihm Ratschläge über die Ehe zu erteilen.
Colls lautstarke Reaktion hatte Ole Sadera überrascht. Sie war völlig untypisch für seine ansonsten so freundliche und sanfte Art.
Erst da war Ole Sadera wirklich bewusst geworden, welch tiefen Schmerz sein Freund in sich trug.
Nun traf der Massai eine Entscheidung, von der er wusste, dass Coll ihm dafür nicht danken würde. Aber sein kranker Körper brauchte Ruhe, und die Berührung einer Frau wäre ein wirksames Heilmittel für alles, was ihn plagte.
Er führte das Pferd von der Straße herunter auf den Weg, der zu Katherine Wallace’ Farm führte.
Die Kikuyu-Landarbeiter auf den Maisfeldern ließen ihre Arbeit ruhen, um ihn anzustarren, als er an ihnen vorüberschritt. Einige folgten ihm in einem gewissen Abstand, aber Ole Sadera ignorierte sie verächtlich.
Aus dem Haus kam ihm eine junge Massai-Frau mit einem Essenskorb für die Feldarbeiter in der Hand entgegen. Er wusste, dass sie eine Massai war. Zwar trug sie fremde Kleidung, aber ihre Gestalt und ihre Haltung verrieten es ihm. Sie straffte beim Gehen ihre Schultern und beachtete die gaffenden Kikuyu nicht. Ihr Blick wanderte von Coll auf dem Pferd zu Ole Sadera, und sie hielt seinem Blick stand.
Ole Saderas Herz begann laut in seiner Brust zu pochen. Sie war wunderschön, aber auch stolz – wie es eine Massai-Frau in der Gegenwart der Kikuyu sein sollte.
Aber was ihm den Atem verschlug, war ihre Ähnlichkeit mit Nashilo, der sie bis auf ihr Alter wie aus dem Gesicht geschnitten war.
»Nein, nein, Wanjira«, sagte Katherine kopfschüttelnd, die Hände in die Hüften gestützt. »So bereitet man kein Kalb zum Brandmarken vor. Das Tier wird beim ersten Hauch des Eisens versuchen davonzulaufen, und du wirst es nicht halten können.« Sie schob die Ärmel ihrer Bluse nach oben. »Du musst es hier anfassen«, sagte sie, griff um den Hals des Kalbs herum und packte sein Kinn. »Und hier«, fügte sie hinzu und deutete auf sein Bein. »Dann ziehst du es einfach zu Boden.«
Wanjira nickte und lächelte und unternahm einen weiteren halbherzigen Versuch, bei dem sich das Kalb mühelos aus seinem Griff befreite und bis zum Ende seines Haltestricks trottete.
Katherine schüttelte den Kopf und schaute zu den Hügeln hinüber, um die Beherrschung nicht zu verlieren. Dabei erblickte sie auf dem Weg, der von der Straße nach Nairobi zu ihrer Farm abzweigte, einen Massai-Krieger. Sie erkannte ihn an seiner roten Kleidung und dem imposanten Kopfschmuck. Er stand neben einem Pferd mit Reiter und sprach mit Kira.
Als sie sich gemeinsam Richtung Haus begaben, kam ihr der Reiter irgendwie bekannt vor, doch sie weigerte sich, Mutmaßungen anzustellen. Sie hatte schon mehr als ein Mal einen Reisenden, der sich nach dem Weg erkundigte, mit dem Mann verwechselt, von dem sie sich wünschte, dass er diesen Pfad entlanggeritten kommen möge.
Nun kam ihr sogar das Pferd bekannt vor.
Sie fasste sich ans Haar, wischte einige unsichtbare Flusen von ihrer Schürze und wagte zu hoffen, dass er es dieses Mal sein würde.
Als die kleine Gruppe das Tor erreicht hatte, war sie sich ganz sicher, erkannte jedoch zugleich, dass irgendetwas nicht stimmte. George hatte Schwierigkeiten, sich aufrecht im Sattel zu halten.
Sie rannte zum Tor und riss es auf. Sie versuchte, ihm beim Vorüberreiten in die Augen zu blicken, doch sein Kopf ruhte auf seiner Brust.
Der Massai sagte nichts, sondern führte das Pferd bis zur Veranda, wo er stehen blieb.
Katherine eilte auf George zu und legte eine Hand auf sein Knie. »George?«, sagte sie und blickte zu ihm auf. »George!«
»Es geht ihm nicht gut, Missus Wallace«, sagte der Massai. »Er hat nicht geschlafen und ist sehr schwach.«
Er zog vorsichtig an Colls Bein. Coll rührte sich und blickte sich um. Er schaute angestrengt umher und schien überrascht zu sein, wo er sich befand.
»Katherine …?«, sagte er, als er sie neben Ole Sadera entdeckte.
»Ja, George. Ich bin es«, erwiderte sie und riskierte ein Lächeln.
Coll rutschte vom Pferd, und als er das erste Mal an diesem Tag unsicher auf den eigenen Füßen stand, streckte er die Arme nach ihr aus.
»George! Oh, George«, sagte sie und presste ihn an sich.
Katherine bot Coll noch mehr
Weitere Kostenlose Bücher