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Der letzte Massai

Der letzte Massai

Titel: Der letzte Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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Massai dachte, die möglicherweise gute tausend Fuß über ihm auf den ungeschützten Flanken des Steilhangs ausharren mussten.
     
    Über ihnen erhoben sich die trostlosen, dunklen Abhänge. Nach Osten hin zogen Sturmwolken am grauen Spätnachmittagshimmel auf, und der Wind, der einer kalten Stahlklinge glich, schlug eine Schneise ins Gras. Die Frauen von Rumuruti duckten sich in ihren kalbsledernen Umhängen und den dünnen, wollenen Hemden und pressten ihre Kinder an sich. Selbst die Ältesten in ihren Pelzmänteln aus Klippschlieferfellen spürten, wie ihnen die Kälte in die Glieder fuhr.
    Jeder Schritt bedeutete eine Willensanstrengung. Vor ihnen lag der Mau-Wald mit Aussicht auf ein wenig Schutz vor der schneidenden Kälte und dem Regen. Aber es würde schon bald dunkel werden. Nashilo befürchtete, dass eine weitere Nacht auf den windgepeitschten Abhängen den Tod für die schwächeren Mitglieder ihrer Gruppe bedeuten würde.
    Okelia war weiter vorn mit den Milchkühen, den Schafen und den Ziegen. Das Vieh war völlig erschöpft und hielt die Köpfe gegen den Regen gebeugt. Doch sein Überleben war von großer Bedeutung, wenn es den Dorfbewohnern gelingen sollte, ihre Reise zu beenden.
    Die jüngeren Frauen redeten ihren zu Boden gesunkenen älteren Stammesgenossen, die zu erschöpft waren, um sich wieder zu erheben, eine Weile gut zu, um ihnen dann zu drohen, dass sie dort sterben würden, wenn sie nicht wieder aufstanden. Nashilo tat, was sie konnte, aber die stechenden Schmerzen in ihrem Bauch dienten ihr als Warnung, dass das Leben, das sie in sich trug, keine weiteren Kraftakte tolerieren würde.
    Sie ließ sich bis ans Ende der Karawane zurückfallen, hielt Ausschau nach Nachzüglern und trieb sie an. Hier hinten war es aber schwerer voranzukommen, und sie legte immer wieder kurze Pausen ein, in denen sie mit Übelkeit und Kopfschmerzen kämpfte, die schlimmer wurden, je höher sie kletterten.
    Sie ging gebeugt, um sich gegen den Wind und den Regen zu schützen, und sah nicht, wie Okelia aus der Düsterkeit des Abends auf sie zukam. Sie zuckte zusammen, als er sie am Arm packte und ihr etwas zurief. Aber der Wind riss die Worte aus seinem Mund und schleuderte sie in die zunehmende Finsternis. Er deutete nach vorn, die Steigung hinauf, doch sie vermochte aufgrund des Regens, der ihr ins Gesicht schlug, kaum etwas zu erkennen.
    Er beugte sich zu ihrem Ohr. »Der Gipfel«, sagte er und zeigte wieder nach vorn. »Nicht mehr weit.«
    Nashilo wischte sich über das nasse Gesicht. Sie versuchte sich an einem Lächeln und nickte zum Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte.
    »Ich werde dir helfen«, sagte er und fasste ihren Arm.
    »Nein, du musst bei dem Vieh bleiben. Bei den Milchkühen.«
    Okelia wusste, dass sie recht hatte, aber er zögerte, Besorgtheit und Zweifel in seinem Blick.
    »Geh schon«, sagte sie. »Suche Schutz für das Vieh und kehre zurück.«
    Er zögerte erneut.
    »Geh!«, befahl sie.
    Okelia machte sich rasch wieder auf den Weg zu den Ältesten und den Kindern, die die Herde bewachten.
    Das wenige Licht, das noch vorhanden war, schwand rasch. Nashilo war sich nicht sicher, ob sie immer noch den anderen folgte. Als sie über einen Baumstamm trat, der im Weg lag, verlor sie den Halt und fiel hin. Auf Händen und Knien unterdrückte sie einen verzweifelten Schluchzer. Sie war erschöpft und fragte sich, ob sie es bis zum Gipfel schaffen oder ob sie sich dem Schlamm und dem Dung des vom Regen gepeitschten Abhangs geschlagen geben würde.
    Sie hatte Okelia, ihre einzige Aussicht auf Hilfe, weggeschickt, und es blieb ihr nichts weiter als ihre nachlassende Willenskraft, um ihr beim Überleben zu helfen. Ihre Verzweiflung drohte sie zu überwältigen, aber das Wissen um das Leben in ihrem Inneren gab ihr Kraft. Sie würde überleben, und wenn es nur aus dem Grund geschah, um Parsalois Kind zu retten.
    Sie benutzte den Stamm, über den sie gefallen war, um sich aufzurichten. Aber es war gar kein Stamm. Es war ein Körper, kalt und steif lag er da. Und als sie genauer hinschaute, sah sie, dass es Ntooto war.
     
    Die verzweifelten Menschen aus Rumuruti erreichten in kleinen, erschöpften, entmutigten Gruppen in Dunkelheit und eisigem Regen nach und nach den bewaldeten Kamm des Mau Summit. Die letzten tausend Schritte waren eine ungeheure Anstrengung gewesen. Sie hatten sich den Abhang hinaufgeschleppt, waren manchmal auf Händen und Knien weitergekrochen und hatten sich, schlammbedeckt und vor Dreck

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