Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
kleine Stadt, wie man es nennen konnte, war netter und mit mehr Kunstaufwand gebaut, als die Weißen bei den Indianern gewöhnlich zu erwarten pflegten. Der Ort schien jedoch verlassen; wenigstens war Duncan eine Weile dieser Meinung: Endlich aber glaubte er mehrere menschliche Gestalten zu erblicken, die auf allen vieren herankamen, und etwas Schweres, wie er schließen wollte, vielleicht eine furchtbare Kriegsmaschine, hinter sich schleppten. Eben jetzt schauten mehrere schwarze Köpfe aus den Wohnungen hervor und der Platz schien plötzlich von Wesen belebt, die so schnell von Versteck zu Versteck eilten, dass es ihm unmöglich war, ihre Stimmung oder Absicht zu unterscheiden. Beunruhigt durch diese verdächtigen und unerklärlichen Bewegungen war er im Begriff, das Krähensignal zu geben, als ein nahes Rauschen der Blätter seine Augen nach einer anderen Seite zog.
Der junge Mann fuhr auf und prallte einige Schritte instinktmäßig zurück, als er einige hundert Schritte vor sich einen fremden Indianer erblickte. Er ermannte sich jedoch augenblicklich wieder, und blieb, statt Lärm zu machen, der ihm selbst hätte verderblich werden können, unbeweglich stehen, ein aufmerksamer Beobachter des neuen Ankömmlings.
Ein Augenblick ruhiger Betrachtung überzeugte Duncan, dass er noch unentdeckt sei. Der Eingeborene schien, wie er, beschäftigt, die niedrigen Hütten des Dorfes und die eiligen Bewegungen seiner Bewohner zu beschauen. Unter der Maske einer grotesken Malerei waren seine Gesichtszüge unmöglich zu erkennen: Doch war es Duncan, als ob sie eher Schwermut als Wildheit ausdrückten. Sein Kopf war, wie gewöhnlich, geschoren bis auf den Scheitel, von dessen Schopf drei oder vier verwitterte Falkenfedern lose herabwehten. Ein zerrissener Kaliko-Mantel umgab seinen Leib zur Hälfte, während der untere Teil seiner Bekleidung aus einem schlichten Hemd bestand, dessen Ärmel einen Dienst versahen, der sonst durch eine weit bequemere Vorrichtung geleistet wird. Seine Beine waren nackt und von Dornen kläglich zerrissen, seine Füße aber trugen ein Paar Mokassins von gutem Hirschleder. Kurz, das Aussehen des Individuums war verwahrlost und elend.
Duncan war immer noch mit neugieriger Betrachtung seines Nachbars beschäftigt, als der Kundschafter still und vorsichtig an seine Seite schlich.
»Ihr seht, wir haben eine ihrer Niederlassungen oder ein Lager erreicht«, flüsterte ihm der junge Mann zu, »und hier ist einer der Wilden selbst, der unsere ferneren Bewegungen sehr störend hemmt.«
Falkenauge fuhr auf und ließ seine Büchse sinken, als er, dem Finger seines Begleiters folgend, den Fremden gewahrte. Doch senkte er die gefährliche Mündung wieder und streckte seinen langen Nacken vor, als sollte dieser eine so missliche Untersuchung noch weiter unterstützen.
»Der Schelm ist kein Hurone«, sprach er, »auch keiner aus den Kanadastämmen, und doch seht Ihr an seinen Kleidern, dass er einen Weißen geplündert hat. Ja, Montcalm hat die Wälder für seinen Einfall gebrandschatzt und eine lärmende, mörderische Rotte um sich versammelt. Könnt Ihr sehen, wo er seine Büchse oder seinen Bogen abgelegt hat?«
»Er scheint unbewaffnet, und überhaupt keine schlimmen Absichten zu hegen. Wenn er nicht seine Gefährten, die dort unten am Wasser sich ducken, in Alarm bringt, so haben wir nur wenig von ihm zu fürchten.«
Der Kundschafter wandte sich gegen Heyward und sah ihn einen Augenblick mit unverhohlenem Erstaunen an; dann öffnete er den Mund weit und brach in ein volles und herzliches Lachen aus, aber immer in jener schweigsamen Weise, die ihn häufige Gefahr gelehrt hatte.
»Gefährten, die am Wasser herumschleichen!« wiederholte er, »das hat man davon, dass man seine Jugend in der Schule und innerhalb der Niederlassungen verbringt! Der Schelm hat jedoch lange Beine, und wir dürfen ihm nicht ganz trauen. Haltet ihn mit Eurer Büchse im Respekt, bis ich durch das Gebüsch von hinten heranschleiche und ihn lebendig fange. Schießt aber auf keinen Fall!«
Schon war sein Gefährte halb in dem Dickicht verschwunden, als Heyward seinen Arm vorstreckte, und ihn mit der Frage noch einmal anhielt:
»Wenn ich Euch in Gefahr weiß, soll ich da nicht einen Schuss wagen?«
Falkenauge sah ihn einen Augenblick an, wie einer, der nicht recht wusste, wie er die Frage nehmen sollte; dann nickte er mit dem Kopfe und antwortete lachend, obgleich kaum hörbar:
»Ein ganzes Pelotonfeuer, Major!«
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