Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
unwillkürlich entfielen, aufzuhaschen. Die Knaben verließen ihre Spiele, gingen furchtlos unter ihren Vätern umher und schauten mit neugieriger Verwunderung auf, wenn sie kurze Ausrufe des Erstaunens über die Tollkühnheit des verhassten Feindes vernahmen, die sich ohne Scheu hören ließen. Mit einem Wort, jede Beschäftigung wurde verlassen, alles beiseite gelegt, damit der ganze Stamm nach seiner eigentümlichen Weise sich den neuen Eindrücken ungestört hinzugeben vermöchte.
Als die Aufregung sich ein wenig gelegt hatte, waren die Alten darauf bedacht, ernstlich zu erwägen, was unter so misslichen und verwickelten Verhältnissen die Ehre und Sicherheit des Stammes verlange. Während aller dieser Vorgänge und mitten in der allgemeinen Bewegung hatte Magua nicht nur seinen Sitz, sondern auch seine ursprüngliche Stellung behauptet: Er lehnte sich an eine Wand der Hütte, so regungslos und scheinbar gleichgültig, als ob ihn das Ergebnis der Beratung gar nicht berühre. Gleichwohl entging seinem wachsamen Auge kein Merkmal für die künftigen Absichten seiner Wirte. Vollkommen vertraut mit dem Charakter des Volkes, mit welchem er zu tun hatte, erkannte er jede Maßnahme, die sie berieten, voraus; ja, man konnte beinahe sagen, er durchschaute in manchen Fällen ihre Absicht, ehe sie ihnen selbst deutlich war.
Die Beratung der Delawaren war kurz. Als sie geendet hatten, verkündete eine allgemeine Bewegung, dass ihr unmittelbar eine feierliche und förmliche Versammlung des ganzen Stammes folgen würde. Da eine solche höchst selten und nur in Fällen von äußerster Wichtigkeit einberufen wurde, so erkannte der schlaue Hurone, der bisher immer noch allein saß, ein finsterer Beobachter des Geschehenden, dass nun alle seine Pläne zu ihrer endlichen Entscheidung kommen müssten. Er verließ daher die Hütte und schritt schweigend dem Platze vor dem Lager zu, wo sich bereits die Krieger zu versammeln begannen.
Es mochte eine halbe Stunde vergangen sein, bis alle, Weiber und Kinder mit eingeschlossen, ihre Stelle eingenommen hatten. Dieser Verzug mochte seine Erklärung in den ernsten Vorbereitungen finden, die man für eine so feierliche und ungewöhnliche Beratung nötig glaubte. Als die Sonne aber über die Gipfel des Berges emporstieg, an dessen Fuße die Delawaren ihr Lager erbaut hatten, saßen die meisten; und als ihre glänzenden Strahlen durch die Umrisse der die Anhöhe umsäumenden Bäume brachen, fielen sie auf eine von der tiefsten Teilnahme ergriffene Menge, so ernst, so aufmerksam, als nur je eine von ihren Morgenstrahlen beleuchtet wurde. Ihre Zahl betrug etwas über tausend Seelen.
Bei einer Versammlung so ernstgestimmter Wilden trifft es sich nie, dass ein Mitglied in ungeduldigem Streben nach vorzeitiger Auszeichnung die Zuhörer in eine übereilte und vielleicht unbesonnene Erörterung fortreißt, um seinen eigenen Ruhm zum Sieger zu machen. Eine solche anmaßende Voreiligkeit würde ein frühreifes Talent mit einem Mal, und für immer zugrunde richten. Den ältesten und erfahrensten Männern des Volkes allein blieb es vorbehalten, den Gegenstand der Beratung dem Stamme vorzulegen. Ehe ein solcher für gut gefunden hatte, eine Anregung zu geben, konnten weder Waffentaten noch natürliche Talente, noch Rednerruhm die geringste Unterbrechung entschuldigen. Bei dem nun vorliegenden Falle blieb selbst der betagte Krieger, der das Vorrecht zu sprechen hatte, still, wie bewältigt von der Wichtigkeit des Gegenstandes. Bereits weit länger als gewöhnlich hatte die Pause des Nachdenkens gedauert, die solchen Beratungen voranzugehen pflegt: Aber selbst dem jüngsten Knaben entschlüpfte kein Zeichen der Ungeduld oder Verwunderung. Von Zeit zu Zeit schaute ein Auge von der Erde empor, auf welche die Blicke der meisten geheftet waren, und streifte nach einer einzelnen Hütte, die sich jedoch von den anderen um sie her durch nichts als durch die Sorgfalt unterschied, mit der man sie gegen die Anfälle der Witterung geschützt hatte.
Endlich ließ sich ein dumpfes Gemurmel vernehmen, wie es so geeignet ist, eine größere Volksmenge aufzuregen, und der ganze Stamm erhob sich wie durch gemeinsamen Antrieb. Alsbald öffnete sich die Tür der fraglichen Hütte, drei Männer traten heraus und nahten sich langsam dem Platze der Beratung. Sie waren alle betagt, sogar älter als die Bejahrtesten der Anwesenden: Aber der eine in ihrer Mitte, der sich auf seine Gefährten stützte, hatte eine Reihe von
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