Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
auflebte. Sie erhob ihr Gesicht, warf ihren glänzenden Schleier zurück und fuhr fort, mit einem Auge, dessen Feuer der tödlichen Blässe ihres Gesichtes widersprach, »aber warum dürfen wir nicht fragen. Doch noch einer von deinem eigenen Volke ist da, der noch nicht vor dich gebracht worden ist; ehe du den Huronen im Triumphe fortziehen lässest, höre ihn!«
Als Tamenund zweifelnd um sich blickte, sprach einer seiner Geleiter:
»Es ist eine Schlange – eine Rothaut im Solde der Yengeese. Wir behalten ihn für die Marter.«
»Lasst ihn kommen!«, sprach der Weise.
Noch einmal sank Tamenund auf seinen Sitz zurück, und während die jungen Krieger sich anschickten, seinem einfachen Befehl zu willfahren, herrschte eine so tiefe Stille, dass man die Blätter auf den Bäumen des Waldes umher, von dem Hauche eines leichten Morgenwindes hin und her getrieben, deutlich säuseln hörte.
30
Wenn Ihr’s mir weigert, pfui auf Eu’r Gesetz,
Dann sind Venedigs Urteil’ ohne Kraft:
Ich will mein Recht; antworte, soll ich’s haben?
WILLIAM SHAKESPEARE
Manche ängstliche Minuten dauerte das Stillschweigen und kein Menschenlaut unterbrach es. Dann öffnete sich die wogende Menge, schloss sich wieder und Uncas stand in dem Kreis der Versammelten. Aller Augen, welche bisher in den Gesichtszügen des Weisen, als der Quelle ihrer Einsicht, neugierig geforscht hatten, wandten sich jetzt und hafteten in stiller Bewunderung auf der hohen, geschmeidigen, tadellosen Gestalt des Gefangenen. Aber weder die ganze Umgebung, noch die ausschließliche Aufmerksamkeit, die er auf sich zog, störte die Selbstbeherrschung des jungen Mohikaners. Er warf einen bedächtigen, beobachtenden Blick um sich her und begegnete dem entschiedenen feindseligen Ausdruck der Häuptlinge mit derselben Ruhe wie dem neugierigen Gaffen der Kinder. Als aber sein stolzes und forschendes Auge zuletzt auf Tamenund fiel, blieb es ruhen, als ob alle anderen Gegenstände vergessen wären. Dann trat er mit leisem, geräuschlosem Schritt auf dem Platze vor, unmittelbar zu dem erhöhten Stuhle des Weisen. Hier stand er unbeachtet, jenen scharf ins Auge fassend, bis einer der Häuptlinge Tamenund von seiner Gegenwart in Kenntnis setzte.
»In welcher Sprache spricht der Gefangene mit Manitu?«, fragte der Patriarch, ohne die Augen aufzuschlagen.
»In der seiner Väter«, antwortete Uncas, »in der Sprache der Delawaren.«
Auf diese plötzliche, unerwartete Äußerung lief ein gedämpftes, wildes Murren durch die Menge hin, dem Brummen des Löwen vergleichbar, wenn seine Leidenschaft erwacht: ein furchtbares Vorzeichen künftigen Grimmes. Der Eindruck dieser Worte auf den Weisen war ebenso stark, obgleich er sich auf andere Art zu erkennen gab. Er fuhr mit der Hand über die Augen, als wolle er sie vor einem so schmachvollen Anblick ferne halten, und wiederholte in seinen leisen Kehllauten die soeben gehörten Worte:
»Ein Delaware! Ich habe erlebt, dass die Stämme der Lenapen, von ihren Versammlungsfeuern vertrieben, gleich zersprengten Rudeln Wildes zwischen die Berge der Irokesen zerstreut wurden. Ich habe die Äxte eines fremden Volkes die Wälder in den Tälern fällen sehen, welche die Stürme des Himmels verschont hatten. Ich habe gesehen, wie das Wild, das auf den Bergen geht, und die Vögel, welche über die Bäume fliegen, in den Wigwams der Menschen leben, aber noch nie zuvor hab’ ich gefunden, dass ein Delaware so niederträchtig war, einer giftigen Schlange gleich in die Lager seiner Nation zu kriechen.«
»Die Singvögel haben ihre Schnäbel geöffnet«, entgegnete Uncas in den sanftesten Tönen seiner melodischen Stimme, »und Tamenund hat auf ihren Gesang gehört!«
Der Weise fuhr empor und neigte sein Haupt auf die Seite, als wollte er die fliehenden Töne einer verklungenen Melodie erhaschen.
»Träumt Tamenund?«, rief er. »Welche Stimme klingt in seinem Ohr? Sind die Winter rückwärts gegangen? Wird der Sommer wieder zu den Kindern der Lenapen kommen?«
Feierliches, ehrfurchtsvolles Schweigen folgte diesem unzusammenhängenden Ausbruch aus dem Munde des delawarischen Propheten. Sein Volk bildete diese unverständliche Rede gerne zu einer jener geheimnisvollen Unterredungen, die er, wie sie glaubten, öfter mit einem höheren Wesen pflege; und alle erwarteten mit heiliger Scheu den Schluss der Offenbarung. Nach einer langen Pause jedoch wagte einer der betagten Männer, als er wahrnahm, dass der Weise die Erinnerung an den anwesenden
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