Der letzte Mohikaner: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Fremdling ganz verloren habe, ihn an den Gefangenen zu mahnen.
»Der falsche Delaware zittert, Tamenunds Worte zu vernehmen«, sprach er. »Es ist ein Spürhund, welcher heult, wenn ihm die Yengeese eine Fährte zeigen.«
»Und ihr«, entgegnete Uncas, finster um sich blickend, »seid Hunde, welche winseln, wenn euch der Franzmann den Abfall von seinem Wilde vorwirft!«
Zwanzig Messer blitzten in der Luft und ebenso viele Krieger sprangen nach dieser beißenden und vielleicht gerechten Erwiderung auf, aber ein Wink eines der Häuptlinge unterdrückte den Ausbruch ihrer Wut und stellte scheinbar die Ruhe wieder her. Dies wäre vielleicht schwieriger gewesen, hätte nicht Tamenund durch eine Bewegung angedeutet, dass er wieder sprechen wolle.
»Delaware«, begann der Weise wieder, »wenig verdienst du deinen Namen. Mein Volk hat seit vielen Wintern keinen hellen Sonnenschein gesehen, und der Krieger, welcher seinen Stamm verlässt, wenn Wolken ihn verhüllen, ist ein doppelter Verräter. Manitus Gesetz ist gerecht. So ist es: Solange die Ströme fließen und die Berge stehen, solange die Blüten auf den Bäumen kommen und wieder gehen, muss es so sein. Er ist euer, meine Kinder, verfahrt mit ihm nach Gerechtigkeit.«
Kein Glied hatte sich bewegt, kein Atemzug hatte sich lauter und länger hören lassen, bis die letzte Silbe dieses Endurteils Tamenunds Lippen entflohen war. Jetzt aber erscholl mit einem Mal ein Rachegeschrei, wie es schien, aus dem Munde der ganzen Nation, ein schrecklicher Vorbote ihrer barbarischen Absichten. Mitten unter diesem lang anhaltenden, wilden Geheul verkündete ein Häuptling mit lauter Stimme, der Gefangene sei verurteilt, die schreckliche Probe der Feuerqual zu bestehen. Der Kreis löste sich unordentlich auf und frohlockende Rufe mischten sich in den Lärm und Tumult der Zurüstungen. Heyward rang halb wahnsinnig mit seinen Siegern, Falkenauge begann ängstlich und mit besonderem Ernst um sich zu blicken, und Cora warf sich dem Patriarchen zu Füßen, noch einmal seine Gnade anzuflehen.
In diesen Augenblicken der Prüfung war Uncas allein heiter geblieben. Standhaft blickte er auf die Vorbereitungen, und als die Quäler nahten, um ihn zu ergreifen, erwartete er sie in fester, aufrechter Haltung. Einer unter ihnen, womöglich noch grimmiger und wilder als die anderen, griff den jungen Krieger bei seinem Jagdhemd und zerrte es ihm mit einem Griff vom Leibe. Dann stürzte er mit wahnsinnigem Jubel auf sein widerstandsloses Schlachtopfer, um es an den Pfahl zu führen. In dem Augenblick aber, da der Wilde den Gefühlen der Menschlichkeit am meisten entfremdet schien, hielt er so plötzlich inne, als ob eine übernatürliche Macht für Uncas gesprochen hätte. Die Augäpfel des Delawaren schienen aus ihren Höhlen treten zu wollen; sein Mund öffnete sich und seine ganze Gestalt war vor Erstaunen wie erstarrt. Langsam und gemessen erhob er seine Hand und wies mit dem Finger auf die Brust des Gefangenen. Seine Begleiter drängten sich verwundert um ihn, und aller Augen waren, gleich den seinigen, auf die Gestalt einer kleinen Schildkröte geheftet, die in glänzend blauer Farbe auf die Brust des Gefangenen tätowiert war.
Ruhig lächelnd genoss Uncas einen Augenblick seines Triumphes. Dann wies er die Menge mit einer stolzen Bewegung seines Armes zurück, trat mit der Würde eines Königs vor das Volk und sprach mit einer Stimme, welche das laut werdende Gemurmel der Bewunderung übertönte:
»Männer der Lenni-Lenapen! Mein Geschlecht trägt die Erde! Euer schwacher Stamm steht auf meiner Schale! – Welches Feuer, von einem Delawaren angezündet, würde das Kind meiner Väter verbrennen?«, fuhr er fort, mit Stolz auf den einfachen Bilderschmuck seiner Haut deutend. »Das Blut aus einer solchen Quelle müsste eure Flammen ersticken. Mein Geschlecht ist der Großvater von Nationen!«
»Wer bist du?«, fragte Tamenund und erhob sich, mehr in Folge der erschütternden Laute, die in sein Ohr drangen, als eines aus den Worten des Gefangenen geschöpften Sinnes.
»Uncas, der Sohn Chingachooks!«, antwortete der Gefangene bescheiden, sich von der Menge wendend und sein Haupt ehrerbietig vor dem Rang und den Jahren des anderen beugend; »ein Sohn des großen Unami!«
»Tamenunds Stunde ist nahe!«, rief der Weise; »der Tag hat sich endlich zur Nacht gewendet! Ich danke dem Manitu, dass einer hier ist, meinen Platz an dem Versammlungsfeuer einzunehmen. Uncas, das Kind des Uncas ist
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