Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
fühlten und so sehr sie von allen anderen verehrt wurden – letzten Endes waren die Paladine Untertanen des Königs wie alle anderen. Der König befahl, und sie folgten. Gewiß, sie hätten sich gegen ihn auflehnen können. Aber ihre Treue war einer der Stützpfeiler des Frankenreichs. Würde sie wanken, geriete das ganze Reich ins Taumeln. Und der Bestand des Reichs war wiederum eine der Grundfesten ihres Credos. Sie waren Gefangene ihres eigenen Selbstverständnisses und ihres Schwurs. Es war nur so, dass Karl sie das bisher nie hatte spüren lassen.
»Und bittet Gerbert, zu mir zu kommen«, seufzte Karl.
»Was ist mit Ganelon de Ponthieu?«, fragte Piligrim. »Wie sollen wir ihm deine Pläne mitteilen?«
»Ganelon weiß bereits Bescheid. Ich habe mit ihm gesprochen, bevor er nach Roncevaux ritt.«
»Nur mit ihm? Ohne uns andere mit einzubeziehen?«
»Zu diesem Zeitpunkt wart ihr alle erst auf der Reise hierher«, sagte Karl sanft. »Ganelon war bereits in Patris Brunna. Und seine Mission konnte nicht warten.«
»Was hat Ganelon gesagt? Immerhin ist er der Stiefvater von Roland!«
»Turpin, du weißt so gut wie ich, dass die beiden nur zähneknirschend miteinander umgehen. Ganelon ist es egal, wen Roland heiratet.«
»Ich meine wegen Rolands Erhebung in den Kreis der Paladine«, sagte Turpin.
Karl räusperte sich. »Davon weiß Ganelon noch nichts.«
Als Turpin und Piligrim die Halle verlassen hatten und über die Baustelle gingen – langsam, um auf Piligrims Hinken Rücksicht zu nehmen –, schwiegen die beiden Paladine zunächst. Schließlich seufzte Turpin: »Wir haben die Sachsen noch nicht ganz unterworfen und fangen schon Streit mit den nächsten Gegnern an. Es gibt ein paar sächsische Edelinge, die nur darauf warten, dass unsere Aufmerksamkeit hier nachlässt – Widukind der Westfale, Bruno der Angrivarier, Scurfa der Wigmodier …«
»Und der Treueschwur, den Heritogo Hessi dem König geleistet hat, ist auch nicht viel wert. Zumindest werden sich die anderen Sachsenschwärme nicht durch ihn gebunden fühlen. Hessi ist zwar der mächtigste unter den sächsischen Anführern und hat auch auf dem Thing, bei dem er für die Unterwerfung unter Karl geworben hat, viele Edelinge auf seine Seite gezogen – aber du weißt doch, wie die Sachsen sind. Jeder Heritogo, jeder Schwarm, jeder Stamm tut, was er will. Kannst du dich an das Häuflein Freibauern erinnern, das einfach weiterkämpfte, als wir die Eresburg eingenommen hatten, obwohl alle anderen Sachsen sich schon ergeben hatten?«
»Deswegen haben wir sie ja am Ende besiegt – weil sie keine zentrale Führung im Krieg besaßen.«
»Das war unser Vorteil«, stimmte Piligrim zu.
»Und jetzt kann es unser Nachteil werden. Wenn die anderen Sachsen erfahren, dass Männer wie Widukind oder Scurfa uns demütigen können, werden sich alle erheben, egal was ihre Edelinge sagen. Dann ist all das Blut der letzten zwei Jahre umsonst vergossen worden, und wenn wir Pech haben, geht Sachsen dem Königreich wieder verloren. Ich halte es für keine gute Idee, sich mit den Mauren anzulegen, solange wir uns der Sachsen nicht sicher sind.«
»Wirst du etwa alt, Turpin?«, spottete Piligrim.
»Nicht alt, aber müde. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn ein Ruf zu den Waffen käme und ich mich nicht erinnern könnte, wo ich mein Schwert hingelegt hätte, weil es schon so lange her wäre, dass ich es zum letzten Mal benutzt hätte. Und dann lächle ich.«
Sein Begleiter nickte schwer. Sie schwiegen wieder eine Weile. Dann stieß Piligrim plötzlich hervor: »Ich werde Karl bitten, mich von der Ehre zu entbinden, Paladin zu sein.«
Turpin blieb stehen, als sei er gegen eine Wand gelaufen. »Was sagst du da!?«, fragte er entgeistert.
Piligrim legte ihm eine Hand auf den Arm. »Schau mich an, Turpin«, sagte er. »Du magst müde sein, aber ich bin wirklich alt. Von den Paladinen bin ich der Älteste. Ich bin nicht mehr gut zu Fuß. Und du weißt so gut wie ich, dass der junge Roland jemanden an seiner Seite braucht, der ihn mäßigt in seinem Drang, sich ständig zu beweisen. Er braucht einen Freund, der hinter ihm steht, dem er vertraut – sonst fangen die Wettkämpfe noch unter den Paladinen an. Und Roland hat nur einen einzigen Freund.«
»Willst du etwa …«
»Ja, ich werde Karl bitten, an meiner Stelle Remi in den Kreis der Paladine zu erheben. Karl kann diese Bitte nicht mit dem Hinweis auf Remis Jugend ablehnen, sonst dürfte er
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