Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
Bischof Turpin unterschied sich von ihnen nur durch das goldene, mit Edelsteinen besetzte Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hing.
König Karl erhob sich. Zu Arimas Überraschung deutete er auf Abt Styrmi, anstatt selbst das Wort zu ergreifen. Der alte Benediktiner stolzierte in die Mitte der Halle.
»Neun Krieger beschützen unseren Herrn, König Karl!«, rief Styrmi. »Neun Helden, wie Hildebrand, Wittich, Fasolt oder Heime, die sich um den großen Thidrek versammelten. Doch Jesus Christus, unser Herr, hat zwölf Anhänger um sich geschart! Haltet ihr es für richtig, dass König Karl, der unseres Herrn Schwert und Schild ist und der das Wort unseres Herrn zu den Heiden trägt, so wie Christus Gottes Wort in die Wüste getragen hat, weniger Helden an seiner Seite hat?« Und bevor irgendjemand eine Antwort geben oder gar anmerken konnte, dass das, was für den Sohn Gottes zutraf, nicht zwangsläufig für den König der Franken zutreffen musste, und sei er noch so sehr von seinem Volk verehrt, beantwortete Styrmi seine rhetorische Frage selbst: »Nein, tut ihr nicht!« Nach einer bedeutungsschwangeren Pause rief er: »Dies ist die Zahl von Gott dem Herrn: Zwölf! Zwölf Apostel folgten Jesus Christus. Zwölf Monde zählt ein Jahr. Zwölf Paladine sollen es sein, die an der Seite unseres Königs stehen!«
Die Mienen der neun Paladine waren ausdruckslos. Aber selbst in ihrer Verwirrung bemerkte Arima, dass Turpins Hände, die er hinter dem Rücken zusammengeschlagen hatte, zu Fäusten geballt waren, und dass Ganelons Finger sich um seinen Gürtel krallten. Immer mehr hatte sie das Gefühl, dass sie in einem schlechten Traum gefangen war. Wann hätte man je gehört, dass ein Paladin mit Anordnungen des Königs nicht einverstanden gewesen wäre? Und jetzt sah sie auch noch den offensichtlichen Abscheu in den Augen von Piligrim de Vienne! Kaum fühlte sie, wie sich der Griff, mit dem Königin Hildegard ihre Hand hielt, verstärkte. Sie hörte die Königin flüstern: »Ruhig, Kindchen, ruhig, alles wird gut.«
»Zwölf!«, rief eine Stimme aus der Menge. Und eine weitere: »Zwölf!«
Die Anwesenden arbeiteten sich langsam in Begeisterung für Styrmis Ankündigung hinein und riefen ihre Zustimmung nach vorn, als wäre es nicht längst schon beschlossene Sache, dass die heilige Zahl der Paladine erhöht würde.
Karl hob beide Hände, und schlagartig wurde es wieder ruhig.
»Ich bitte …«, sagte er laut, und selbst in Arimas Verfassung wurde ihr klar, wie geschickt die Formulierung war – Karl gab einen Befehl, der für den Empfänger die größte Ehre seines Lebens war, und verkleidete ihn als Bitte –, »… ich bitte den Dux von Septimània, meinem Ruf zu folgen und in den Kreis der Paladine einzutreten!«
Beifall und Geschrei brandeten auf und wurden zu Jubel, als Dux Beggo, der noch ein junger Mann war, in die Mitte der Halle eskortiert wurde: von seiner Frau und seinem dreijährigen Sohn, der an der Hand seines Vaters entlangstolperte und vor Aufregung hochrot im Gesicht war. Beggo, der nicht weniger strahlte als sein Sohn und mit allem Schmuck behängt war, den der rustikale fränkische Geschmack erlaubte, kniete vor Styrmi nieder und erhielt seinen Segen. Dann ließ er sich von dem alten Benediktiner bis zu einem der beiden vorletzten Plätze eskortieren und nahm dort mit derselben stolzen Haltung wie die anderen Paladine Aufstellung. Die ihm am nächsten standen, legten ihm förmlich die Hand auf die Schultern, die anderen nickten ihm zu.
Inzwischen hatte der Großteil des Publikums nachgezählt und festgestellt, dass neun Paladine plus vier unbelegte Plätze mehr als zwölf ergaben. Männer stießen sich gegenseitig in die Rippen und machten sich auf den scheinbaren Rechenfehler von Karls Zeremonienmeister aufmerksam. Der Nächste, der aufgerufen und stolzgeschwellt in den Kreis der Paladine geführt wurde, war Otker de Aregaua.
»Herrin«, flüsterte Arima, als Königin Hildegard sich mit einem kleinen Seufzen von der Zeremonie abwandte und ihren prallen Bauch massierte, »was tue ich hier?«
Die Königin strahlte. »Kannst du dir das nicht denken, Kindchen?«
Das Rätsel mit dem scheinbaren Rechenfehler war noch immer ungelöst, als Remi de Vienne als Dritter aufgerufen wurde. Remi stand wie vom Donner gerührt in der Menge. Offensichtlich hatte ihm – anders als seinen beiden Vorgängern – niemand vorher Bescheid gesagt. Während der junge Mann noch um Fassung rang, verließ sein
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