Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
nicht mit Argwohn betrachtet. Bei Turpin war das etwas anderes.
»Du rüstest zu einem Heerzug, Herr«, sagte er, nachdem Karl ihn freundschaftlich begrüßt hatte. »Und ich nehme nicht an, dass er gegen die Sachsen geht.«
Karl schüttelte den Kopf.
»Ich hab’s mir bereits gedacht«, erklärte Turpin. »Die Mauren sind jetzt unser Feind, und wenn wir ihnen ein Jahr Zeit lassen, sich auf einen Krieg vorzubereiten, wird es wesentlich schwieriger, sie zu besiegen. Alles, was du gesagt hast von wegen ›abwarten‹ und ›das Heer mustern‹ und ›wer weiß, wie es in zwölf Monaten aussieht‹ war nur Taktik.«
»Lass uns annehmen, mein lieber Turpin«, sagte Karl fröhlich, »dass es die Mauren nicht anders halten. Umso wichtiger ist es, sie zu überraschen.«
»Ich weiß, ich weiß: Es kann keinen dauerhaften Frieden geben zwischen den Mauren und uns. Mit Verlaub, Herr: Da höre ich Abt Styrmi aus dir sprechen.«
»Nein, Turpin«, erwiderte Karl, »da hörst du den König der Franken sprechen, dessen Großvater die Mauren bei Poitiers zurückgeschlagen hat und der Sorge hat um sein Reich.«
Turpin räusperte sich. Er wusste, dass Karls Entgegnung auch dazu diente, allen Argumenten Turpins den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie entsprach sicherlich zu einem Teil der Wahrheit, wie Karl sie empfand; aber zum gleichen Teil hatte auch Turpin recht mit seinem Vorwurf, dass Karl lediglich die christliche Mission im Namen der Romkirche vorantrieb, derentwegen Styrmi dem König ständig in den Ohren lag.
Der Paladin wusste, wann man aufhören musste, Karl zu widersprechen. Der König hatte beschlossen, noch in diesem Sommer gegen die Mauren zu ziehen, und er würde sich nicht davon abbringen lassen, ganz gleich, wieviel von seinem Entschluss auf das Gift Styrmis zurückzuführen war, der alles Leben für unwert hielt, wenn es nicht nach den Grundsätzen der Romkirche lebte. Dabei hatte Turpin ihm noch gar nicht mitgeteilt, zu welchen Schlüssen er bezüglich Scurfas Flucht nach Westen gekommen war. Und dass Roland nicht zu seiner neuen Provinz ritt, sondern Remi mit den Kriegern dorthin geschickt hatte, während er auf direktem Weg in Richtung Roncevaux eilte, wusste Karl auch noch nicht. Turpins Informationen würden Karl nur bestärken, dass sein Entschluss richtig war, und er würde noch schneller zum Marsch rüsten. Selbst dem kampferfahrenen Paladin wurde es schwindlig, als er sich klarmachte, mit welcher Geschwindigkeit sich die Lage in den vergangenen Wochen auf einen einzigen Ausweg zubewegt hatte: Krieg zwischen den Mauren und den Franken.
»Ich verstehe nicht, warum du die Fürsten mit ihren Kriegern nach Hause geschickt hast, anstatt sie auf den Kriegszug mitzu…« Karls Grinsen ließ Turpin stocken. Dann dämmerte es ihm: »Du hast sie nicht nach Hause geschickt!«
»Ich habe die Krieger auf alle Burgen und Wegstationen entlang des Hellwegs verteilen lassen. Für jeden Spion wird es so aussehen, als hätte ich lediglich deren Befestigung im Sinn, was nach Scurfas Überfall auch vollkommen logisch erscheint.«
»Und auf dem Weg nach Westen sammelst du sie nacheinander alle ein. Bis wir am Fuß des Pirenéus-Gebirges angekommen sind, hast du ein Heer.«
»Richtig, mein lieber Turpin.«
»Es gab eine Zeit, da hättest du diese Kriegslist mit deinen Paladinen besprochen, anstatt sie hinterher scheibchenweise zu informieren.«
Karl machte ein betroffenes Gesicht. »Geheimhaltung war wichtig!«, sagte er.
»Vertraust du uns keine Geheimnisse mehr an?«
»Styrmi meinte …«, begann Karl und unterbrach sich.
Turpin fühlte einen Stich im Herzen, der ebenso schmerzte wie das Ende jeder innigen Liebe, die er je empfunden hatte.
Karl räusperte sich. »Es ist wichtig, dass wir die Mauren im ersten Anlauf besiegen, und ich habe es so beschlossen!«
»Ja, Herr«, sagte Turpin, weil es nichts anderes zu sagen gab.
Karl lächelte. »Jetzt erzähl mir, was du über Scurfa herausgefunden hast. Zur Strecke gebracht hast du ihn wohl nicht, sonst hättest du seinen Kopf dabei. Oder ist nichts von ihm übrig geblieben, als du mit ihm fertig warst?« Karl lächelte noch breiter.
Turpin fand Ganelon auf der Jagd. Rolands Stiefvater hatte einen Falken und zwei Knechte dabei, aber der Falke saß untätig auf seiner Stange, und die beiden Knechte lagen gelangweilt im Gras. Ganelon hockte am Rand eines Tümpels und warf Steine hinein. Turpin hockte sich neben ihn. Lange Zeit schwiegen die beiden
Weitere Kostenlose Bücher