Der letzte Paladin: Historischer Roman (German Edition)
langen Reise einiges an Geduld abverlangt hatte. Sie hatte seinen Vorstellungen davon, wie sich die zukünftige Frau eines Comes und Paladins zu benehmen hatte, offenbar nicht ganz entsprochen: nämlich distanziert und den Männern die Entscheidungen überlassend. Stattdessen hatte sie darauf bestanden, zu den jeweils geplanten Tagesstrecken gehört zu werden und dabei zu sein, wenn die vorausreitenden Kundschafter zurückkehrten und ihren Bericht ablieferten. Die Krieger zeigten ihr offen, dass sie sie ins Herz geschlossen hatten, schon weil sie mehr Talent in der Organisation der Reise bewies als der Anführer. Dank der zwei von ihr zur Jagd eingeteilten Krieger hatte es alle paar Tage frisches Wildbret gegeben. Und mit ihrer Anordnung, dass ihre Dienstboten gegen Ende jeden Tages mit den Kundschaftern vorausreiten, ein Feuer entzünden und Hafer- und Dinkelbrei zubereiten sollten, hatte sie den Männern den Aufenthalt an jedem neuen Lagerplatz so angenehm wie eben möglich bereitet.
»Die Kundschafter haben ausgesagt, dass die Straße bis zur Burg Roncevaux frei ist, und auf der Burg selbst lässt sich die übliche Routine erkennen: Wachen auf dem Wehrgang, die Standarte über dem Tor, man hört die Ziegen in den Ställen meckern«, erklärte der Decanus. »Natürlich – wenn du willst, sende ich die Männer noch einmal aus und lasse sie ausrichten, dass wir kommen und nachfragen, ob alles in Ordnung ist.« Sein inneres Augenrollen teilte sich deutlich in seiner Tonlage mit.
»Nein«, sagte Arima schnell. »Ich möchte … selbst nachsehen.«
Der Decanus starrte sie überrascht an. Er öffnete den Mund, um Widerspruch zu äußern, doch Arima ließ ihn nicht zu Wort kommen.
»Ich möchte, dass du mitkommst. Und …«
»… und ich«, seufzte Ealhwine. »Ich hab es kommen sehen. Wann verstehst du endlich, dass ich kein Krieger, sondern ein Lehrer bin und dass mein Platz nicht irgendwo auf einem nächtlichen Horchposten, sondern in einem Saal und vor einer atemlosen Zuhörerschaft ist?«
»Oh … aber alle halten dich für einen Ehrenkrieger! Besonders, seit du darauf verzichtet hast, die Straße nach Ravenna zu nehmen und stattdessen mit uns weitergezogen bist.«
»Das ist nur, weil der vermaledeite Bischof von Reims mich dazu gezwungen hat.«
Arima lächelte. Zwischen Turpin und Ealhwine hatte sich in Patris Brunna in kurzer Zeit eine Freundschaft entwickelt, die umso bemerkenswerter war, als die beiden Männer in so gut wie keinem Punkt übereinstimmten und ständig miteinander zankten. Das hieß, in einem Punkt waren sie sich doch einig – im wichtigsten überhaupt: wie man das Leben zu nehmen hatte und dass das Gute immer erstritten werden musste, während das Böse von allein kam. Turpin hatte Ealhwine nicht dazu gezwungen, mit Arima zu gehen; er hatte ihn darum gebeten, bevor er die Karlsburg verlassen hatte. Ealhwine war der Bitte ohne zu Zögern gefolgt.
Die Beziehung zwischen Ealhwine und Arima hatte sich ebenfalls intensiviert. Es war, als sei in Ealhwine ein Teil der Persönlichkeit ihres verstorbenen Vaters zurückgekehrt – nicht der harte, entschlossene und manchmal grimmige Krieger und Comes, dessen größter Feind sein eigener Bruder gewesen war, sondern der Mann, der seinen Kriegern in der Halle befohlen hatte, leise zu sein, wenn seine kleine Tochter vor dem Feuer eingeschlafen war, und sie dann in seinen Armen zu ihrem Lager getragen und sich neben sie gesetzt hatte, bis sie tief in Träumen versunken war.
Der Decanus sagte: »Wir nehmen noch ein paar weitere Männer mit.«
Arima schüttelte den Kopf. »Wenn alles in Ordnung ist, brauchen wir die Krieger nicht. Wenn irgendwas faul sein sollte, hilft uns eine Handvoll nicht. Du, Ealhwine und ich genügen.«
»Was sollte denn faul sein, Herrin?«, fragte der Decanus spitz.
»Wenn ich das jetzt schon wüsste, würden wir nicht nachsehen müssen.«
Arima betrachtete erneut die kreisenden Vögel. Wo hatte sie das gleiche Bild schon gesehen? Dann fiel es ihr schlagartig ein.
Die kalte Bergluft hatte den Verwesungsprozess noch nicht so weit fortschreiten lassen wie vor Burg Susatum, aber der Geruch war vernehmbar, klebte in der Luft und legte sich auf die Haut. Es war das gleiche Muster wie in Susatum. Die Toten lagen in einem unordentlichen Haufen, weggeworfen wie alte Lumpen. Weit oben jenseits des felsigen Überhangs, der sich über diesem Friedhof der unbestatteten Leichen erhob, lag Roncevaux. Die Mörder hatten die Toten
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