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Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Der letzte Polizist: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Polizist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ben Winters
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Treppe runtergefallen.«
    »Haben Sie ihm geglaubt?«
    Er lacht in sich hinein, krault den schmalen Kopf des Hundes. »Bei jemand anderem hätte ich’s nicht geglaubt. Hätte mir gedacht, er hat der Freundin des falschen Kerls hinterhergepfiffen. Aber Pete, wer weiß? Ich wette, er ist wirklich die Treppe runtergefallen.«
    »Okay«, sage ich und denke: Ich wette dagegen .
    Toussaint nimmt Houdinis Kopf in die Hände, sie blicken sich an, und ich schaue in die Zukunft, zu jenem schrecklichen und qualvollen Moment, die erhobene 270er, das vertrauensvolle Tier, der Knall, das Ende.
    Er wendet den Blick von seinem Hund ab, schaut wieder zu mir hoch, und der Bann ist gebrochen.
    »Sonst noch was, Mr. Polizist?«
    Einer der Lieblingswitze meines Vaters war seine Antwort auf die Frage, womit er sich den Lebensunterhalt verdiene. Er sagte dann immer, er sei ein Philosophenkönig. Das brachte er mit völliger Ernsthaftigkeit vor, und die Sache mit Temple Palace war, dass er auch stur daran festhielt. Unvermeidlich erntete er einen verständnislosen Blick des Fragestellers – sei es der Friseur, ein Gast auf einer Cocktail-Party oder ein Elternteil eines meiner Freunde, und hier schaue ich in tiefster Verlegenheit zu Boden –, und dann sagte er nur: »Was ist denn?«, und öffnete beschwörend die Hände: »Was ist denn? Ich meine es ernst .«
    In Wirklichkeit lehrte er am St. Anselm’s College Anglistik – Chaucer, Shakespeare und Donne. Zu Hause kam er ständig mit Zitaten und Anspielungen an, hielt mit leiser Stimme aus dem Mundwinkel heraus literaturwissenschaftliche Vorträge und reagierte auf die zufälligen Ereignisse und profanen Gespräche in unserem Haushalt mit lässig hingeklecksten abstrakten Kommentaren.
    Den Inhalt der meisten dieser beiläufigen Bemerkungen habe ich längst vergessen, aber eine hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt.
    Ich kam jammernd und heulend nach Hause, weil ein Junge namens Burt Phipps mich von der Schaukel geschubst hatte. Meine Mutter, Peg, hübsch, pragmatisch und tüchtig, packte drei Eiswürfel in eine Plastiktüte und legte sie auf meine Verletzung, während mein Vater sich an den grünen Linoleumtresen lehnte und die Frage aufwarf, warum dieser Burt wohl so etwas machte.
    Und ich sage schniefend: »Na, weil er ein Blödmann ist.«
    »Aber nein!«, verkündet mein Vater, hält seine Brille ins Licht der Küchenlampe und putzt sie mit einer Serviette. »Eins können wir von Shakespeare lernen, Hen, nämlich dass es für jede Handlung ein Motiv gibt.«
    Ich drücke diese schlaffe Plastiktüte mit Eis an meine lädierte Stirn und sehe ihn an.
    »Verstehst du, Sohn? Wenn jemand irgendwas tut, ganz egal was, gibt es einen Grund dafür. Keine Handlung kommt ohne Motiv aus, weder in der Kunst noch im Leben.«
    »Um Himmels willen, Schatz«, sagt meine Mutter, die vor mir hockt und in meine Pupillen späht, um die Möglichkeit einer Gehirnerschütterung auszuschließen. »Ein Rabauke ist ein Rabauke.«
    »Ja, ja«, sagt Vater, tätschelt mir den Kopf und schlendert aus der Küche. »Aber wodurch wird er zu einem Rabauken?«
    Meine Mutter verdreht die Augen, küsst mich auf meinen verwundeten Kopf und steht auf. Nico ist in der Ecke, fünf Jahre alt; sie baut einen mehrstöckigen Lego-Palast und setzt gerade das sorgfältig konstruierte Kragdach auf.
    Professor Temple Palace hat das Eintreten unserer gegenwärtigen betrüblichen Lage nicht mehr erlebt; und meine Mutter betrüblicherweise auch nicht.
    In nicht viel mehr als sechs Monaten wird den glaubwürdigsten wissenschaftlichen Vorhersagen zufolge mindestens die Hälfte der Bevölkerung des Planeten in einer Abfolge miteinander zusammenhängender Katastrophen ums Leben kommen. Eine Zehn-Megatonnen-Explosion, ungefähr so viel wie die Sprengkraft von tausend Hiroshimas, wird einen riesigen Krater ins Erdreich reißen, eine Reihe mit der Richterskala nicht mehr erfassbarer Erdbeben auslösen und die Wasserberge gewaltiger Tsunamis über die Meere schicken.
    Und dann wird die Aschewolke kommen, die Dunkelheit, der weltweite Temperatursturz um zwanzig Grad. Keine Ernten, kein Vieh, kein Licht. Das langsame, kalte Ende derjenigen, die übrig bleiben.
    Beantworten Sie Folgendes in Ihren blauen Büchern, Professor Palace: Welche Auswirkungen haben all diese Informationen, dieses Damoklesschwert, das auf uns herabsaust , auf das Motiv?
    Zum Beispiel J.T. Toussaint, ein entlassener Steinhauer ohne Vorstrafen.
    Kein nachprüfbares Alibi für

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