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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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scharfen Kanten der Stacheln zu spüren bekam. Es dauerte nicht lange, bis er aus mehreren kleinen Schnittwunden blutete.
    Das Rauschen kam jetzt nicht mehr von vorn, sondern von oben und von den Seiten. Mit einem Instinkt, den Xavius in den vergangenen beiden Stunden entwickelt hatte – vermutlich der Beginn einer von seinen Mikromaschinen herbeigeführten sensorischen Adaption an den nächtlichen Wald von Bluestone –, fühlte er zahlreiche Bewegungen in der Finsternis. Die Krieger des Weltwalds schickten sich an, gegen die Soldaten des Enduriums in den Kampf zu ziehen.
    Auf der sechsten Ebene, nach Pribyllas Navigationsgerät etwa hundert Meter über dem Boden, fanden sie ein Bündel aus Dutzenden von Zweigen, das in die richtige Richtung führte und stabil genug zu sein schien, um sie zu tragen.
    »Noch fünfhundert Meter«, sagte Pribylla nach einigen Minuten. »Vielleicht schaffen wir es tatsächlich.« Es klang überrascht, als hätte sie nicht daran geglaubt.
    Etwas huschte an Xavius vorbei, eine dunkle Masse aus Pelz und Krallen, und für einen schrecklichen Moment glaubte er, dass es erneut ein Raptor auf sie abgesehen hatte. Aber das Geschöpf verschwand im Dickicht und war offenbar dorthin unterwegs, woher das Donnern und Tosen kam.
    Wenig später hellte sich die Finsternis vor ihnen zu einem leichten Grau auf, und Pribylla sagte: »Noch zweihundert Meter.« Fast sofort fügte sie hinzu: »Hinlegen!«
    Die beiden jungen Frauen ließen sich einfach fallen, und der schwarmgesteuerte Instinkt ermöglichte es Xavius, ihrem Beispiel sofort zu folgen. Vandover hingegen zögerte und duckte sich nur.
    Etwas jagte über sie hinweg.
    Xavius packte die Beine des Konsuls und zog, woraufhin Vandover das Gleichgewicht verlor und der Länge nach stürzte. »Etwas hat mich getroffen«, jammerte er. »Es klebt an meinem Kopf.«
    »Arachnen!«, rief Pribylla. »Weg damit. Helfen Sie ihm, Chronist.«
    Wieder reagierte Xavius sehr schnell, und ein Teil von ihm – vielleicht mit dem Chronass verbunden, der schon seit einer ganzen Weile schwieg – beobachtete sich dabei. Mit einem Satz war er über Vandover, streckte die Hand nach der stacheligen Knolle im Nacken des Mannes aus …
    »Nicht mit der bloßen Hand!«
    In der Dunkelheit vor ihnen knallte es mehrmals, und weitere Knollen rasten durch die Nacht. Xavius duckte sich tiefer, legte einen halb abgerissenen Streifen seines Hemds um die Knolle, in der sich ein Riss gebildet hatte, und zog. Er musste einige Kraft aufwenden, um das stachelige Gebilde von Vandovers Nacken zu lösen, und der Mann unter ihm dankte es ihm mit einem Fluch.
    In Xavius’ Hand, vom Stoffstreifen ein wenig geschützt, brach die Knolle auf, und heraus kam eine Kreatur, die wie eine Mischung aus Wurm und Spinne wirkte. Angewidert ließ Xavius sie fallen.
    »Die Synchronizität hat uns erreicht!« Pribylla war wieder auf den Beinen. »Die letzten beiden hundert Meter, los!«
    Sie lief so schnell, dass sie aus dem schwachen Lichtkegel von Lauranias Lampe geriet und zu einem undeutlichen Schemen in der Dunkelheit vor ihnen wurde. Xavius zerrte Vandover auf die Beine, und gemeinsam folgten sie den beiden Minerva-Frauen. Weitere Knollen flogen, und eine von ihnen streifte seine Wange, hinterließ ein schmerzhaftes Brennen. Rechts von ihnen löste sich die Rinde von einem Stamm, der mindestens fünfzehn Meter durchmaß. Sie brach an mehreren Stellen auf, wie die Schale einer reifen Frucht, und darunter kamen Hunderte, Tausende von farblosen Käfern mit langen, krummen Beinen zum Vorschein. Sie orientierten sich mit zitternden Fühlern, wie zuvor die Scorpi, und sprangen.
    Xavius schlug die Käfer fort, die ihn trafen, zumindest jene, die er erreichen konnte, und spürte an mehreren Stellen ein Brennen am Rücken, als er Pribylla, Laurania und Vandover folgte. Überall um sie herum raschelte und knisterte es, als sich Blätter und Zweige bewegten. Weiter oben hörte Xavius ein Fauchen, das ihn noch schneller laufen ließ, dem Licht entgegen, das sich vorn immer deutlicher im Dickicht abzeichnete.
    Das Bündel aus Zweigen, auf dem sie unterwegs waren, neigte sich nach unten und wurde dünner, knackte unter ihrem Gewicht. Pribylla fand einen nahen Ast, der etwas besseren Halt bot, aber ebenfalls so steil nach unten führte, dass sie sich an Fasersträngen und, mit gebotener Vorsicht, sogar an Wurmblättern festhalten mussten, um nicht abzurutschen.
    Wie auch auf der Lichtung mit dem blauen Stein stammte

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