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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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nichts, absolut gar nichts mit der Ermordung des großen Avedis zu tun haben?«
    Quiron gestikulierte vage. »Es dauert zu lange! Wir brauchen sofort einen Regenten.«
    »Drei Stunden, Vorsitzender«, sagte die alte Mortus. Ihr graues Gesicht blieb die ganze Zeit unbewegt; nur der Glanz in ihren Augen veränderte sich gelegentlich. »Eine Minute reicht nicht für die Wahrheit, wir brauchen drei Stunden.« Sie sah sich am Tisch um und erntete ein Nicken von den anderen Repräsentanten der Familien. »So ist es beschlossen. In drei Stunden erwarten wir hier das Ergebnis der Sifter-Befragungen. Bitte deaktivieren Sie jetzt die Demobilisierer, damit der Chronist Xavis V Xavius der Obhut von Julius M Gladfelter und der Garde überstellt werden kann.«
    Quintus Quiron drehte sich halb um. Sein Gesicht war ebenso ausdruckslos wie das der Konklavesprecherin, aber in seinen Augen brannte es, als er den Coder hob.
    Die Lähmung fiel von Xavius ab, und sofort gaben die Knie unter ihm nach. Er fiel, körperlich und geistig, in taube Dunkelheit.
    52
    Der Vogel flog, aber irgendwann wurde er des Fliegens müde, landete und wurde wieder zu einem Menschen.
    Xavius fand sich auf dem flachen Gipfel eines Berges wieder, auf einem grauschwarzen, aus dem Fels gehauenen Plateau, aus dem eine Säule ragte, weiß wie Schnee. Sie erinnerte ihn an etwas, ebenso die Farbe des Felsgesteins, vielleicht an etwas, von dem er geträumt hatte.
    Eine Frau stand neben dieser Säule, über die verschlungene Zeichen wanderten, Symbole wie kleine Schlangen, die sich gegenseitig zu fressen versuchten. Die Frau stand mit dem Rücken zu ihm, und zuerst befürchtete Xavius, dass es Marta war, dass sie irgendwie hierhergefunden hatte, um ihn zurückzuholen. Aber die Fremde war kleiner und zarter gebaut, und als sie sich umdrehte, zeigte sie ihm ein leeres Gesicht.
    »Wer bist du?«, fragte Xavius. »Was ist dies für ein Ort?« Neben der Säule führte eine Treppe am Hang des Berges hinab, und einige Dutzend Meter weiter unten, wo der cremefarbene Teppich der Wolken begann, versperrte eine geschlossene Tür den Weg. »Oh, ich weiß«, fügte Xavius hinzu, und er wusste es wirklich. »Durch die Tür dort gelangt man in die wahre Welt.« Er streckte die Hand aus. »Kommst du mit?«
    Die Frau ohne Gesicht hatte keinen Mund, aber sie konnte trotzdem sprechen und sagte: »Nein.«
    »Wie heißt du? Oder hast du keinen Namen?«
    Die Fremde schwieg.
    »Nun gut, dann muss ich allein gehen.«
    Xavius trat zur Treppe, aber plötzlich stand die Frau direkt vor ihm. »Ich kann dich nicht gehen lassen.«
    Er breitete die Arme aus, um zu fliegen, denn er fühlte sich wieder kräftig genug, aber seine Arme blieben Arme. Sie verwandelten sich nicht in Flügel.
    Er sah die Frau an, er betrachtete ihr Gesicht, in dem alles fehlte, Augen, Nase und Mund, und sagte: »Ich muss wissen, wer du bist.«
    Kleine Finger bewegten sich in seinem Bewusstsein, schoben hier etwas vorsichtig beiseite, drehten dort etwas behutsam um, und fremde Augen betrachteten, was geschah. Sie sahen mehr, als die fremden Ohren hörten, die ebenfalls in dieser inneren Welt existierten und das Flüstern eines jeden Gedankens vernahmen. Die Augen und Ohren suchten Wahrheit, fanden sie zusammen mit Lügen und trennten beides voneinander.
    Dann zogen sie sich zurück und hinterließen Ruhe.
    Mehr kann ich nicht tun, dachte Xavis V Xavius, erster Chronist des Enduriums, der sich immer für einen Botschafter der Wahrheit gehalten hatte und doch zu einem Werkzeug der Lüge geworden war. Er ahnte weitere Lügen hinter denen, die er aufgedeckt hatte, Lügen, die ebenfalls den Tarnmantel des Wahren trugen, aber vielleicht war ein anderes Leben nötig, um sie alle zu finden.
    Die Augen und Ohren – die Signale des Sifters – wichen aus ihm, und zum ersten Mal seit langer Zeit erfüllte ihn Ruhe.
    Xavius schlief.
    »Xavius?«
    »Ich bin wach«, sagte er, war aber nicht ganz sicher. Um es sich selbst zu beweisen, öffnete er die Augen und sah die alte Erde, nah, nur einige Tausend Kilometer entfernt. Sie schien direkt hinter dem breiten Panoramafenster zu schweben, ein braungelber Ball, der noch immer die Wunden der Zerstörung trug, die große Angriffsschiffe der Ayunn ihm vor zweitausend Jahren gebracht hatten.
    »Ich habe gehört, dass er geflohen ist.« Eine Gestalt erschien in seinem Blickfeld, eine junge Frau mit rötlichem Haar, blass, aber nicht so blass wie Marta. Laurania.
    »Wer ist geflohen?«, fragte

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