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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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plötzlich stehen. »Ich fürchte, ich habe eine Fehlfunktion.«
    Und plötzlich stand sie da, nicht mehr in der Phase, nicht mehr verborgen zwischen den Dimensionen, sondern Teil der Welt, deutlich sichtbar für Augen und Sensoren.
    In der dunklen Stadt wurde es hell, und Sirenen vertrieben die Stille.
    IV
    Manchmal sprach ProfDr Rudolph Allan Zayac, den sie »Schläfer« nannten, obwohl er eigentlich gar nicht richtig schlief, mit den Sechsundzwanzig, und dann schien es ihm, als hielte er direkte Zwiesprache mit seinen Erinnerungen. Sie hatten Namen wie er, Namen, die ihnen individuelle Identität verliehen, obwohl sie seit vielen Jahrhunderten auch einen anderen Zweck erfüllten, einen soziologischen: Sie schufen Strukturen und eine Hierarchie in einer Gesellschaft der Lebenden und der Toten. Doch im »Tank«, im Oval aus Synthium Neun, grenzten die Namen das Individuelle vom Kollektiven ab und beschrieben Personen, die er einst gekannt, mit denen er zusammengearbeitet hatte. Eigentlich fand die Zusammenarbeit noch immer statt, wenn auch auf einer ganz anderen Ebene.
    Während der Alarm durch die Stadt zog und ihr die Stille nahm, während Morti mit kühler Zielstrebigkeit aufbrachen, um die Eindringlinge zu finden, dachte Zayac der Schläfer über die Sechsundzwanzig nach und hörte dabei ihre aufgeregten Stimmen. Niemand von ihnen hatte sich Körperlichkeit bewahrt, nicht einmal teilweise, wie er. Ihre Gedanken – und vielleicht auch ihre Gefühle, da war Zayac nicht sicher; er wusste nicht, ob die Sechsundzwanzig noch fühlen konnten oder sich nur an Gefühle erinnerten – waren in quantenmechanischen Effekten codiert, in der Welt von Planck-Längen, Strings und Calabi-Yau-Räumen, fürsorglich gehegt und gepflegt von der ersten wahren KI, die der Mensch jemals geschaffen hatte und die seitdem gewachsen war. Ihre Gedanken gingen weit über den Tank hinaus, reisten mithilfe von Verschränkung durch die Galaxis, durchzogen die Phalanx und gaben ihr Stabilität. Sie war das Fundament, auf dem die Morti das Endurium errichtet hatten.
    Nein, das stimmte nicht ganz, sinnierte Zayac. Das wahre Fundament des Enduriums befand sich im Schrein unter der schwarzen Pyramide. Der Kontakt damit war seine wichtigste Aufgabe, erinnerte er sich plötzlich mit überraschender Klarheit, damals wie heute. Obwohl er heute anderen Zwecken diente.
    Ein Schatten fiel auf seine Seele, wenn er noch eine hatte, und alte Schuldgefühle erwachten in einem entlegenen Winkel seines Bewusstseins, sofort verscheucht von den Konditionierern in Gel und Gehirn. Er war schuldig, oder trug zumindest eine Mitschuld, es ließ sich nicht leugnen, aber hatte er nach zweitausend Jahren nicht genug gebüßt?
    Die KI, manchmal wie ein strenger Vater, oft wie eine sanfte Mutter, lenkte seine Gedanken in eine andere Richtung.
    Ja, dies war interessant: wie die Stille Stadt reagierte, ihre defensive Effizienz, das Zusammenspiel aller Kräfte, ihre zweckbestimmten Interaktionen. Zayac verglich ihre Komponenten mit den einzelnen Teilen einer großen Maschine, deren Zweck darin bestand, das Überleben der Menschheit als Spezies zu gewährleisten, alles perfekt aufeinander abgestimmt, alles perfekt synchronisiert. Oder besser noch und als Vergleich weitaus treffender: wie ein Schwarm, dessen Gesamtheit mehr war als die Summe seiner Teile. Er selbst hatte, wie auch die Sechsundzwanzig, am Bau der Stadt mitgewirkt, und deshalb erlaubte er sich Zufriedenheit und Stolz.
    Natürlich hatten die Eindringlinge keine Chance, obwohl sie Technik des Feindes benutzten. Selbst wenn bei einem von ihnen der Phasenmodifikator nicht ausgefallen wäre, die Karsow-Emissionen, so gering sie auch sein mochten, hätten sie früher oder später verraten, spätestens in der Nähe der Pyramide, denn dort gab es zahlreiche Phasenfallen.
    Sie fielen, nacheinander: Individuelles Leben wurde ausgelöscht, durch Servitoren oder Morti, unter ihnen auch Tabatha M Belote, wie Zayac feststellte, jene Frau, die erst seit zwei Wochen tot und noch nicht in die Phalanx integriert war. Die Fremden starben, und mit ihnen alles, was sie gewesen waren. Welch eine Vergeudung, dachte der Schläfer, der nicht schlief. Jeder individuelle, isolierte, endgültige Tod verschwendete wertvolle Ressourcen.
    Vier kamen aus dem Ödland, das die Stille Stadt umgab, und eine Rückverfolgung der schwachen Karsow-Spur ergab, dass es ganz zu Anfang fünf gewesen waren – einer lag tot im toten Boden, sein verbrannter,

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