Der letzte Regent: Roman (German Edition)
Xavius unterbrach alle Verbindungen zu den lokalen Netzen, wagte es aber trotzdem nicht, die Mitteilung sofort abzurufen. Es gab Möglichkeiten, einen fremden Schwarm anzuzapfen, zum Beispiel mit Nano-Scannern und auf die Biosignatur abgestimmten Fluktuatoren, und in der Nähe so vieler Menschen konnte man nie ganz sicher sein, ob nicht mindestens ein wissbegieriges Ohr zu nahe war.
Mit einem letzten Blick auf Eugene Salyard – schade, dachte er – lenkte Xavius seine Schritte in eine neue Richtung, verließ den Empfangssaal, ließ sich von einem Lift in die ihm zugeteilte Sektion des Transporters tragen und betrat kurz darauf seine Kabine, die keinen besonderen Komfort aufwies. Dort setzte er einen Teil seines Schwarms frei, mit der Anweisung, das Quartier vor Lauschangriffen aller Art zu schützen, nahm Platz und betrachtete noch zwei oder drei Sekunden lang nachdenklich den Ring, bevor er den Verschränker aktivierte.
Eine kleine Brücke durch Raum und Zeit bildete sich, gerade breit und stabil genug, um verschlüsselte Signale über sieben Lichtjahre springen zu lassen. Der Verschränker empfing und entschlüsselte sie, gab sie dann an den Schwarm weiter, der Seh- und Hörnerven stimulierte. Xavius glaubte, das Gesicht von Quintus Quiron – grau und mit den Schatten der alten Tätowierungen – direkt vor sich zu sehen.
»Xavis V Xavius, erster akkreditierter Chronist des Gremiums, Sie bekommen einen zusätzlichen Auftrag«, verkündete Quiron, und in seiner Stimme vernahm Xavius erneut das schlangenartige Zischen. »Ich mache Sie hiermit zum Vollstrecker. Wenn Sie die Mörder des großen Avedis gefunden haben, wenn es Ihnen gelungen ist, sie und ihren Frevel vor der Öffentlichkeit der Splitter-Welten bloßzustellen … Töten Sie sie. Ihr Tod für Seinen Tod. Werden Sie ein Werkzeug der Gerechtigkeit für das Endurium. Es ist die größte aller Ehren, und der Erfolg wird Sie direkt zur Stillen Stadt bringen.«
Bild und Stimme verschwanden, wichen einer tonnenschweren Stille.
Ich soll zu einem Mörder werden, dachte Xavius in dieser Stille, die ihn aufzusaugen schien.
Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was dieser zusätzliche Auftrag bedeutete. Quiron stellte ihm als Lohn die Stille Stadt und ein neues Leben als Mortus in Aussicht, aber er würde die Erde nie erreichen. Die Splitter-Welten würden ihn bestimmt nicht entkommen lassen, falls es ihm tatsächlich gelingen sollte, Denslow, Rogge und die anderen zu töten.
9
Der Flug von Berwick nach Ratchford-Uyeda dauerte nur wenige Minuten Objektivzeit, gab den Passagieren des Transporters aber acht subjektive Stunden. Zu wenig für einen Kompensator, entschied Xavius, der außerdem seinen Mikromaschinen Gelegenheit geben wollte, sich noch besser auf den Langstreckentransfer vom Zwillingsplaneten nach Bluestone vorzubereiten. Der Schock des zweiten Sprungs, ebenfalls über wenige Lichtjahre, hätte eigentlich kaum der Rede wert sein sollen, aber Xavius hatte ihn als überraschend schmerzhaft empfunden und fragte sich besorgt, wie sich der LS-Transfer über tausend Lichtjahre von Ratchford-Uyeda zum Magellangraben auf den Schwarm und seine physisch-psychische Struktur auswirken würde. Eine Bilanz von plus eins bedeutete, dass er keine ernsten Folgen befürchten musste, aber er war der kritischen Grenze nahe. Auch deshalb verzichtete er auf den Kompensator, der zumindest für die Wahrnehmung des Reisenden die subjektive Zeit der objektiven anglich. Seine Anwendung verringerte den Wirkungsgrad der Mikromaschinen, und Xavius wollte, dass sie ihr volles Potenzial entfalteten, bevor ihn der Superkonnektor im Schwerkraftzentrum zwischen den Zwillingswelten über einen Abgrund von tausend Lichtjahren hinweg nach Bluestone warf.
Zwei Stunden schlief Xavius in seinem Quartier, aber dann weckte ihn Unruhe, und um ihr und den Fragen zu entkommen, die immer wieder in den Fokus seiner Aufmerksamkeit rückten, wenn ihn nichts ablenkte, suchte er den großen Gemeinschaftsbereich des Transporters auf: einen mehrere Hundert Meter langen und etwa dreißig Meter breiten Raum, der sich an der Backbordseite erstreckte und beim Bug über einen Blasen-Gang verfügte, der es Reisenden ermöglichte, sich bis auf nur einen Meter der Bugwelle zu nähern, die das Schiff beim Ritt auf Verschränkung und Quantenwahrscheinlichkeit vor sich herschob.
Xavius hatte einen Platz an einem der großen Panoramafenster gewählt, das aber gar kein Panorama zeigte, nur das träge
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