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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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allein.
    14
    Am zweiten subjektiven Tag der Reise, bevor die Erschütterungen begannen, bedauerte Xavius fast seine Entscheidung, keinen Kompensator zu benutzen. Künstlicher Schlaf hätte ihm Ruhe gegeben, eine Möglichkeit, den bohrenden Fragen zu entkommen.
    »Was hat es mit dem verdammten Ding auf sich?«, brummte er, während er durch einen simulierten Wald ging, über weichen, grasbewachsenen Boden, der bei jedem Schritt ein wenig unter seinen Füßen nachgab. Diese Welt – in allen Einzelheiten so perfekt, dass man sie ohne den am rechten Rand des Blickfelds eingeblendeten VR-Hinweis nicht von der Realität unterscheiden konnte – gehörte zu den Unterhaltungsprogrammen des kleinen Transferschiffs, mit dem Xavius unterwegs war, als einziger Passagier an Bord.
    »Das fragst du mich jetzt zum elften Mal«, sagte der neben ihm gehende junge Mann, der blaue Seide trug. »Und deine Ausdrucksweise wird immer schlechter, wenn du mir diesen Hinweis gestattest.«
    »Hast du nicht mehr herausgefunden?«
    »Über den Passagier im Passagier?« Der Chronass lachte leise. »Man hat uns etwas in den Kopf gesetzt, während der sieben Stunden, die in deinem Gedächtnis fehlen und angeblich nötig waren, deine Angaben zu überprüfen. Vielleicht spielt der Sifter dabei eine Rolle.«
    Xavius verzog das Gesicht. Es gefiel ihm ganz und gar nicht, selbst dann belauscht zu werden, wenn er überhaupt nichts sagte und nur dachte.
    »Mir geht es ebenso wie dir«, sagte der Chronass.
    Xavius blieb an einem Bach stehen, beobachtete das klare, plätschernde Wasser und bemerkte einen Fisch, der sich an einer seichten, ruhigen Stelle einem Käfer näherte – mit langen, gespreizten Beinen hockte das Insekt auf dem dort fast unbewegten Wasser, die Oberflächenspannung ausnutzend. Immer näher kam der Fisch, verharrte in einem Abstand von etwa dreißig Zentimetern, streckte den Kopf nach oben … Eine Zunge schnellte nach vorn, grün wie die Blätter der Bäume, und der Käfer klebte daran fest, als sie ihn traf und dann wie ein Gummiband zum Ausgangspunkt zurückkehrte. Xavius sah dem Fisch nach, als er, die Beute verschlungen, am Rand des Baches schwamm, auf der Suche nach weiteren Opfern.
    »Wir sind wie der Käfer eben«, sagte er. »Und das andere in uns ist der Fisch.«
    »Als Metapher gibt das nicht viel her«, erwiderte der Chronass. »Und die Ausdrucksweise ist nicht besonders gut. Du solltest so etwas mir überlassen. Du hast mir Autonomie gegeben, damit ich mich um diese Dinge kümmere.«
    »Es trifft den Kern der Sache«, murmelte Xavius und hielt eine Idee fest. »Hier in dieser virtuellen Welt … Kann uns die KI des Schiffes dabei helfen, unseren Passagier zu sehen und zu untersuchen?«
    »Sehen möchtest du ihn? Kein Problem.« Der in glänzendes Blau gekleidete junge Mann streckte die Hand aus, und darauf erschien eine Gestalt, ein etwa zwanzig Zentimeter großer, nackter, geschlechtsloser Humanoide, der Kopf kahl, die Augen geschlossen.
    Xavius beugte sich vor. »Wer bist du?«, fragte er, in diesem Moment mehr neugierig als besorgt.
    »Du erwartest doch nicht ernsthaft eine Antwort, oder?«, sagte der Chronass in einem tadelnden Ton.
    »Ist es etwas Fremdes? Etwas, das von außen kommt? Das meinem Bewusstsein implantiert wurde?« Xavius erinnerte sich an die Worte des SK-Offiziers. Vielleicht ist Ihre Schizophrenie außer Kontrolle geraten.
    »Dir fehlt nichts, mir fehlt nichts, und zusammen verfügen wir über hundert Prozent unseres Geistes. Dies hier gehört nicht zu uns.«
    »Na schön. Was ist es?«
    »Keine Ahnung.« Der Chronass ließ die Hand sinken, und der Humanoide verschwand. »Es denkt und fühlt nicht, ist einfach nur da. Ohne die Separation hätten wir es vielleicht gar nicht bemerkt. Wer auch immer uns den Besucher in den Kopf gesteckt hat, er ging vermutlich davon aus, dass er unentdeckt bleiben würde.«
    »Vielleicht hofft Gladfelter, mich auf diese Weise zu überführen. Oh, es könnte meine Schwäche nach dem Erwachen erklären.«
    »Ja.«
    »Können wir den Eindringling unschädlich machen oder ihn entfernen? Vielleicht mithilfe unserer Mikromaschinen?« Ich spreche im Plural, dachte Xavius. Von mir selbst. Sollte ich mir Sorgen machen?
    »Er ist kein Geschwür, das der Schwarm einfach auflöst und absorbiert.« Der junge Mann in Blau – in viel zu knapp sitzender blauer Seide, die seinen muskulösen Körper betonte; wie eitel! – sprang mit geschmeidiger Eleganz auf die andere Seite des Baches

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