Der letzte Regent: Roman (German Edition)
und der Zorn verschwanden in einem Weiß, das von innen heraus leuchtete, und er dachte: Sie hat mich getroffen. Marta. W as auch immer sie nach mir geworfen hat, es hat mich erwischt.
Er wurde schwerer und rutschte, und er konnte sich nicht festhalten, dazu war er zu schwach. Aber bevor er fiel, wie zuvor Rogge, war es genau jener Mann, der ihn festhielt, sich über ihn beugte und sagte: »Es ist der Neutralisator in Ihnen. Boris wird sich um Sie kümmern.«
23
Als Xavius diesmal die Augen öffnete, sah er das Gesicht einer anderen Frau, keinen zornigen Mond, sondern ein blasses, leeres Oval, umgeben von rötlichem Haar. Benommen fragte er sich, warum sie ihm so nahe war – der Abstand betrug nicht mehr als zwanzig Zentimeter –, und dann begriff er plötzlich. Er steckte zusammen mit Laurania in dem Krötenwesen.
»Laura ist auf dem Weg der Besserung«, sagte jemand, und in Xavius’ Blickfeld erschien ein Mann mit absurd langen und dünnen Gliedmaßen, der Kopf schmal und nach hinten verlängert. »Aber der Chronist …«
»Holt mich sofort hier raus!«, schrie Xavius.
Es hörte ihn niemand, denn die Worte blieben in seiner Kehle stecken. Nur ein leises Röcheln kroch ihm über die Lippen und verlor sich in einem schmatzenden Geräusch aus dem Maul des Wesens, das ihn bis zum Hals verschlungen hatte – er spürte den Rand des Mauls am Kinn.
Das Brennen war verschwunden, und er fühlte auch keinen Schmerz, aber der Ekel erschien ihm schlimmer als alle Qualen. Er würgte, allerdings nur für eine Sekunde, dann ließ der Brechreiz nach und verschwand. Die Kröte, der »Heiler«, grunzte.
»Seine Reisebilanz ist null«, fuhr Boris fort. Wenn Xavius die Augen nach rechts drehte – und das machte er, um nicht ständig in Lauranias bleiches Gesicht zu starren –, konnte er ihn sehen, neben einer Konsole, an der jemand saß und Schaltflächen betätigte. Darüber schwebte ein Anzeigefeld mit Statussymbolen. Befanden sie sich an Bord eines Raumschiffs?
Jemand bückte sich vor dem Maul der Kröte und sah Xavius in die Augen.
»Ich glaube, er ist wach«, sagte Pribylla.
»Boris?« Das war Rogges Stimme. Sie kam von dem an der Konsole sitzenden Mann.
»Ja, Hektor.« Die grotesk dünne Karikatur eines Menschen hielt ein Gerät in seinen schmalen, mit weichen Saugnäpfen ausgestatteten Fingern und blickte auf die Anzeigen. »Organisch ist er stabilisiert. Zum Glück geht es Laura besser, denn sonst hätte Ocker ihm nicht so schnell helfen können. Der Heiler muss für ihn mehr als siebzig Prozent seines Potenzials einsetzen, um die Maschinenabhängigkeit zu kompensieren.«
Maschinenabhängigkeit?, dachte Xavius. Wovon redete der dürre Kerl? Und »Ocker«? Hat das Krötenwesen etwa einen Namen?
»Der Schwarm, den Laura neutralisiert hat«, sagte Pribylla. Sie stand noch immer vor dem Maul, hatte sich aber aufgerichtet, was bedeutete, dass Xavius ihr Gesicht nicht mehr sehen konnte. »Diese Mikromaschinen, die überall in seinem Körper herumschwirren. Sie sind sogar in seinen Augen.«
»Sehhilfen«, pflichtete ihr Boris bei. »Die Mikromaschinen ›schwirren‹ nicht in ihm herum, Priby. So funktionieren sie nicht. Sie sind integraler Bestandteil des Gewebes, eingebunden in die Chemie der Zellen.« Er sprach seltsam, fand Xavius, leicht näselnd und wie jemand, der einen Vortrag hielt, als handelte es sich um eine interessante Fallstudie. »Lauras Neutralisator hat sie lahmgelegt. Aber dann hat sich der Chronist einen Teil des Neutras aus der Brust gerissen, und der andere Teil, der in ihm verblieb, starb ab. Dadurch kam es zu einer Nekrose. Die mit den Zellen verbundenen Mikromaschinen hätten die Gewebeschäden normalerweise reparieren können, aber sie waren blockiert.«
Jetzt existiert der verdammte Neutralisator nicht mehr, dachte Xavius. Müsste der Schwarm nicht wieder funktionieren? Er wollte Arme und Beine bewegen, aus dem grässlichen Wesen herauskriechen, und seine Muskeln meldeten dem Gehirn, dass sie sich zusammenzogen. Dennoch blieben die Gliedmaßen reglos.
»Müsste sein Schwarm inzwischen nicht wieder funktionieren?«, sprach jemand die Frage aus, die sich Xavius in Gedanken gestellt hatte.
»Ich weiß nicht«, erwiderte Boris. »Es gibt noch andere Probleme, und vielleicht haben sie etwas damit zu tun. Möglicherweise empfangen die Mikromaschinen nicht die richtigen zerebralen Signale. Mit dem Gehirn des Chronisten stimmt was nicht. Die neuronalen Aktivitätsmuster weichen von der Norm
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