Der letzte Regent: Roman (German Edition)
große«, sagte Annabel. Ihre Stimme klang noch immer neutral. »Sie haben einen großen kennengelernt, und den mit der größten temporalen Distanz.«
»Dreieinhalb Milliarden Jahre in der Zukunft«, murmelte Xavius und sah in seiner Erinnerung noch einmal das gewaltige Gebilde, das bei der Raumschiff-Nekropole erschienen war. Dann erschien ein anderes Bild vor seinem inneren Auge: Lauranias Gesicht hinter dem blutverschmierten Helmvisier.
»Das Tunnelsystem erstreckt sich durch Raum und Zeit, maximal hundertzehn Millionen Lichtjahre weit und bis zu sieben Milliarden Jahre in die Zukunft.«
»Und die Vergangenheit?«, fragte Xavius, ohne zu wissen, warum er diese Frage stellte. »Gibt es auch einen Tunnel, der in die Vergangenheit führt?«
Rogge und Annabel wechselten einen Blick.
»Nein«, sagte die Frau mit den großen grünen Augen. »Zumindest ist uns keiner bekannt. Es wäre viel zu gefährlich. Mit einem Tunnel in die Vergangenheit könnte man Einfluss auf die Gegenwart nehmen. Alles Existierende wäre bedroht.«
Ein Tunnel in die Vergangenheit, dachte Xavius fasziniert. Man könnte ihn benutzen, um die Ermordung des Regenten zu verhindern.
»Und sie erforschen diese Tunnel«, sagte er.
»Ja.«
»Seit vielen Jahren, nehme ich an.«
»Seit zwei Jahrzehnten.«
»Tunnel, die durch Zeit und Raum führen«, sagte Xavius. »Millionen von Lichtjahren, Milliarden von Jahren. Sie haben Nekropolen gefunden, Depots mit fremder Technik, und Sie versuchen, daraus Nutzen zu ziehen.«
»Ja.«
»Ohne das Gros der Menschheit daran zu beteiligen?«
»Es ist interessant, dass Sie das sagen«, kommentierte Rogge. »Das Gros der Menschheit lebt inzwischen auf den Splitter-Welten von Magellangraben und Schlund, Chronist. Wir sind nicht die Minderheit, sondern die Mehrheit. Und wir werden eine immer größere Mehrheit, weil die Bevölkerung des Enduriums schrumpft, während die unsere wächst.«
Xavius dachte an Salyard und sagte: »Das ist Unsinn. Das Endurium ist viel größer als Magellangraben und Schlund zusammen. Es enthält weitaus mehr Welten. Außerdem nehme ich an, dass Sie bei Ihrer Rechnung nur die Vivi berücksichtigt haben.«
»Die Morti sind keine Menschen mehr«, sagte Rogge. »Sie sind tot.«
»Die Toten sind unsere einzige Chance!«, stieß Xavius hervor und spürte, wie Zorn in ihm erwachte. Diese ignoranten Fanatiker! Sie dachten nur an sich selbst, an ihre eigene kleine Welt, die sie für die ganze Welt hielten. Aber es gab viele Dinge jenseits ihres begrenzten Horizonts. »Nur sie überstehen beliebig viele Transferschocks. Sie bringen Konnektoren mit Relativitätsschiffen in ferne Sonnensysteme. Sie sind intelligenter, haben einen größeren Überblick und tragen die Hauptlast des Kampfes gegen die Ayunn. Seit zweitausend Jahren verteidigen die Morti uns Vivi und auch euch Abtrünnige!«
Ein Licht huschte über Annabels Gesicht. Xavius sah es nur für einen Sekundenbruchteil, ein grünliches Schimmern. Er bemerkte ein flaches Gerät vor ihr, ein Display.
»Ist dies ein Verhör?«, fragte er mit plötzlichem Misstrauen. »Was soll dies alles? Warum haben Sie mir von dem Tunnelsystem erzählt?« Er wartete einige Sekunden, und als er keine Antwort bekam, fügte er hinzu: »Stellen Sie es dem Endurium zur Verfügung. Als Zeichen Ihres guten Willens. Es könnte uns beim Kampf gegen die Ayunn helfen.«
Rogge seufzte leise. »Vielleicht sollte er endlich aufhören, dieser Kampf. Vielleicht sollten wir endlich versuchen, Frieden mit ihnen zu schließen.«
»Frieden? Mit den Ayunn? Sie haben alle unsere Verhandlungsangebote abgelehnt!«
»Vielleicht waren es die falschen Angebote«, sagte Rogge.
»Ach, und Sie wissen, wie man ihnen ein richtiges Angebot macht?« Der Zorn in Xavius wurde stärker. »Oh, ja, das habe ich vergessen. In dieser Hinsicht wissen Sie gut Bescheid. Weil Sie zu Verrätern an der Menschheit geworden sind. Sagen Sie mir, Rogge: Hat sich nur Minerva mit den Ayunn verbündet? Oder sind die Splitter-Welten direkt daran beteiligt? Die Allianzen von Redstar, die Orion-Koalition und die Kartelle des Magellangrabens? Sie sind Koordinator des Magellan’schen Zentralrats, was weitere Verbindungen nahelegt. Haben sich inzwischen alle Splitter-Welten Ihrem Bündnis mit den Ayunn angeschlossen? Soll das Endurium bei der Dritten Inkursion in die Zange genommen werden?«
Fand der entscheidende Angriff statt, während sie hier miteinander sprachen? Das war ein entsetzlicher Gedanke,
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