Der letzte Regent: Roman (German Edition)
gerade einen schweren Schock hinter sich. Manchmal zweifelte er noch immer an seiner mentalen Integrität. Konnte er unter solchen Umständen einen Transfer ins Endurium wagen, wenn das möglich war, oder wenigstens nach Bluestone, wo es eine Niederlassung des Enduriums gab und wo man ihn erwartete?
Ich habe den Ring, dachte er. Angeblich schützt er mich auch bei null vor den negativen Folgen eines Transfers. Aber wie sollte er ihn ohne seinen Schwarm aktivieren?
Laurania trat plötzlich ganz nahe an ihn heran und sah ihm in die Augen.
»Bevor wir uns auf den Weg machen, möchte ich Sie noch etwas fragen. Etwas, das nur Sie und mich betrifft.«
»Ja?«, fragte Xavius erstaunt.
»Als wir im Attraktor waren, als uns die Phantome der Reisenden verfolgten … Warum haben Sie mich gerettet? Allein hätten Sie sich schneller in Sicherheit bringen können.«
»In Sicherheit? Es gab keine Sicherheit. Ich wusste nicht einmal, was es mit der ›Tür‹ auf sich hatte.«
»Wir haben die Ereignisse rekonstruiert, soweit das möglich war«, sagte Laurania und blickte ihm noch immer tief in die Augen, wie auf der Suche nach einer besonderen Wahrheit. »Wir wissen, dass Sie nur noch für kurze Zeit Luft zum Atmen hatten, weil Ihr Schutzanzug Sauerstoff verlor. Trotzdem haben Sie nicht versucht, meine Sauerstoffpatronen zu nehmen. Dass ich jetzt hier vor Ihnen stehe, verdanke ich Ihnen.«
Xavius verriet ihr nicht, wie nahe er daran gewesen war, sein Leben durch ihren Tod ein wenig zu verlängern. Stattdessen sagte er: »Sie könnten mir Ihre Dankbarkeit zeigen, indem Sie mir erklären, warum Sie mich entführt haben. Was hat Minerva mit mir vor?«
Lauranias Blick wechselte zwischen seinen Augen, noch immer auf der Suche nach etwas. Sie wirkte fast ein wenig enttäuscht, als sie einen Schritt zurückwich.
»Sie erfahren es von Hektor, sobald er den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält. Machen wir uns auf den Weg.«
Sie gingen am Rand des Kraters entlang zum Eiswagen.
ZORN
X
Blitze zuckten aus dunklen Wolken über der Stillen Stadt, trafen aber keines der Gebäude – das Kraftfeld lenkte sie ab. Der Regen hingegen fiel ungehindert, seine Säure neutralisiert von den Myriaden Mikromaschinen in der Stadt.
Tabatha M Belote blickte hinaus, suchte nach Ruhe und fand keine. Das erschien ihrem erkalteten, analytischen, rationalen Intellekt seltsam. Er forschte nach übrig gebliebenen Emotionen, die nicht mit ihr zusammen in der Pyramide gestorben waren, und fand keine.
Kurzer Schmerz stach hinter ihren Augen, und da war es wieder: das Empfinden von Bewegung in ihrem Kopf.
»Etwas bewegt sich in mir«, sagte sie leise. Sie brauchte Luft, um zu sprechen, das war der einzige Zweck des Atmens, aber ihr Atem beschlug nicht an der kalten Scheibe des Fensters. »Etwas bewegt sich in meinem Kopf.«
Sie hatte mit einer Antwort gerechnet und drehte sich um, als keine kam. Der Schläfer lag in seinem transparenten Behälter, in seinem Sarkophag, umgeben von Nährgel, das ihn am Leben erhielt. »Hörst du mich?«
Es blieb alles still. Tabatha trat zum Sarkophag und fragte sich, ob die Nähe der Phalanx der Grund war, weshalb sie den Kontakt zum Schläfer verloren hatte.
Die Körperreste in dem Behälter waren unverändert, ebenso die Anordnung aus Schläuchen und Kabeln. Das unversehrte Gesicht mit den geschlossenen Augen zeigte Frieden, doch irgendwie wusste Tabatha, dass dieser Eindruck täuschte.
»Etwas stimmt nicht mit mir«, sagte sie und fragte sich, an wen sonst sie diese Worte richten sollte. An die Promotoria vielleicht? Vielleicht hätte sie dadurch ihre Aufnahme in die Phalanx riskiert. »Könnte es sein, dass ich nicht richtig gestorben bin?«
Du bist tot wie die anderen Morti, erklang die geistige Stimme des Schläfers. Es ist alles in Ordnung mit dir.
Tabatha hörte nicht nur die Worte, sondern auch noch etwas anderes hinter ihnen. Anspannung?
»Was ist mit dir?«, fragte sie, aber eigentlich wollte sie fragen: Stimmt auch mit dir etwas nicht?
Weißt du, was »Status quo« bedeutet?
»Natürlich weiß ich das«, sagte Tabatha. »Ich bin mit der alten Sprache vertraut. ›Status quo‹ bedeutet ›gegenwärtiger Zustand‹.«
Ich muss ihn bewahren, den gegenwärtigen Zustand. Mit dem, was der Schrein enthält. Es ist schwer. Es nimmt mir meine Kraft. Allein kann ich es nicht schaffen.
Tabatha fühlte keine Anteilnahme; dazu war sie nicht mehr fähig. Aber ihr Intellekt erkannte die Notwendigkeit, Hilfe zu
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