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Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Der letzte Regent: Roman (German Edition)

Titel: Der letzte Regent: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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leisten, wenn sie gebraucht wurde, zumal bei einer wichtigen Aufgabe. Und die Dinge, mit denen sich der Schläfer beschäftigte, waren wichtig, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Andernfalls hätte man ihn nicht zweitausend Jahre unter großem Aufwand am Leben erhalten.
    »Kann ich dir helfen?«, fragte sie.
    Der Schläfer schwieg.
    Ein Blitz, heller als die anderen, warf sein Licht durch den Saal der Sechsundzwanzig, und für den Hauch eines Augenblicks vertrieb er alle Schatten, tauchte jedes Detail, die großen wie die kleinen, in weißes Gleißen. Tabatha schloss die Augen nicht; diesen Reflex der Lebenden hatte sie abgelegt. Mit ihrer neuen, verbesserten Wahrnehmung sah sie alles und konnte die kleinsten Einzelheiten selbst dann noch betrachten, als das Licht verschwand und die Schatten zurückkehrten. Vielleicht wäre sie, genug Konzentration vorausgesetzt, sogar in der Lage gewesen, die einzelnen Moleküle im Synthstahl und in der Polymerkeramik der Wände zu erkennen und das Flüstern der Elektronen in den vielen Leitungen zu hören, die sie durchzogen.
    Wieder zuckte Schmerz durch ihren Schädel.
    »Etwas bewegt sich in meinem Kopf«, sagte sie. »Und es tut weh. Außerdem spüre ich Unruhe. Soll der Tod nicht Ruhe bringen? So habe ich es zumindest gehört.«
    Mit deinem Kopf ist alles in Ordnung, sagte der Schläfer. Du hast bekommen, was du brauchst.
    »Was ich brauche?«
    Für das Leben nach dem Tod. Für die Phalanx.
    »Was habe ich bekommen?«
    Erneut blieb es still. Tabatha blickte auf die Reste von ProfDr Rudolph Allan Zayac hinab und fragte sich, ob sich auch in seinem Kopf etwas bewegte.
    Es tut mir leid, sagte der Schläfer schließlich. Wir sind affin.
    Tabatha zögerte. »Was bedeutet das?«
    Es bedeutet, dass es eine Verbindung zwischen uns gibt. Und es könnte noch mehr bedeuten. Es tut mir leid.
    »Was tut dir leid?«
    Dass ich keine Kontrolle habe. Ich dachte, ich hätte sie, aber das war ein Irrtum.
    »Ich verstehe nicht …«
    Die Stimme des Schläfers klang anders, als er sagte: Sie ist da, hinter dir. Ich durfte dich nicht auf sie hinweisen.
    Tabatha drehte sich um und sah Selena M Seace, dreihundertfünfzig Jahre alt, Mitglied einer der Sechsundzwanzig Familien und Promotoria der Stillen Stadt. Sie trug einen bunt bestickten Umhang, und wo er ihren Körper unbedeckt ließ, glitzerten silberne Linien in der Haut. Sie fingen das Licht eines weiteren Blitzes ein, bildeten Zahlen, Buchstaben und Symbole, die in Bewegung gerieten, als die Promotoria sprach. »Du kommunizierst mit dem Schläfer, ohne das Interface zu benutzen. Es gibt eine Verbindung zwischen euch.«
    Tabatha senkte den Kopf. »Ich bitte um Entschuldigung. Ich …«
    »Es gibt nichts zu entschuldigen. Der Schläfer hat eine sehr schwere Aufgabe zu bewältigen.«
    »Er hat sie erwähnt«, sagte Tabatha, als die Promotoria schwieg und eine Antwort von ihr zu erwarten schien.
    »Er braucht Hilfe. Bist du bereit, sie ihm zu geben?«
    Sie zögerte nicht. »Natürlich.«
    »Dann komm mit mir«, sagte die Promotoria. »Die Phalanx wird dich schon jetzt aufnehmen, vor den anderen, die zusammen mit dir gestorben sind, und anschließend kannst du dem Schläfer helfen.«
    Hinter Tabatha – und in ihrem Kopf, neben dem Schmerz, der von etwas stammte, das sich bewegte – sagte der Schläfer: Es tut mir leid.

Neue Wege
    26
    Der Raum befand sich in der obersten Etage eines siebenstöckigen Gebäudes, das am Rand der kleinen Stadt im Eis aufragte. Durch die breiten Fenster war das Frachtterminal zu sehen, wo Transporter abgebautes Archäta aufnahmen und von Antigravkissen getragen aufstiegen, in einer Höhe von einem Kilometer ihre Manovratoren aktivierten und zum Konnektor im Orbit von Pellegren flogen, einer kleinen silbernen Nadel vor dem Hintergrund des blauen Gasriesen.
    So nahe, dachte Xavius. Es waren nur einige Hundert Meter bis zum Terminal, und wenn er sich dort an Bord eines Transporters verstecken konnte …
    »Das ist Rebecca«, sagte Rogge, der ihn zusammen mit Laurania hereingeführt hatte. »Rebecca …«
    »Ja, ich weiß. Xavis V Xavius, erster akkreditierter Chronist des Gremiums im Endurium. Zweifellos ein wichtiger Mann. Es ist mir eine Ehre.«
    Es war eine Stimme, die aus mehreren kleinen Glocken zu bestehen schien, deren verschiedene Töne sich zu einer sanften Melodie vereinten. Xavius, der an einem der großen Fenster stand und einem gerade gestarteten Transporter nachsah, drehte sich um.
    Eine Frau, hager

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