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Der letzte Schattenschnitzer

Der letzte Schattenschnitzer

Titel: Der letzte Schattenschnitzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Aster
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möglich war.
    »Sei’s drum! Wenn es der Wächter war, der Ripley befreite, und wenn sich dessen Tor in Ambrì befindet, und der Wächter auch noch die Kinder dort verbirgt, dann ist dieser Ort der Schlüssel!«, bekräftigte nun sogar de Bourges die Gedanken de Maesters. Und selbst Erzsebet Stiny stimmte mit ein: »Dort wird sich alles entscheiden …«

John Dee
    ALCHIMIA UMBRARUM (1604)
    Kapitel IV
    (Seite 51 ff.)
     
    VON DEN SIEGELN
     
    F ünf Siegel schuf der Rat der Schatten, das künstliche Tor in den Limbus zu schützen. Und verschlossen bleibt dieser Weg in die Schatten, bis sie alle gebrochen sind.
    Zu ihrem Schutze aber sind die Mitglieder des Rates auf schicksalhafte Weise und unwiederbringlich mit ihnen verbunden. Jeder von ihnen ist zum Schutze eines der fünf auserkoren, spürt, wann ihm Gefahr droht, leidet, wenn es bricht, und ist mit einem Schwur daran gebunden, es selbst noch mit seinem Leben zu verteidigen.
    Verborgen vor den Augen der Menschen liegen jene Siegel, eingelassen in mächtige Schatten, irgendwo in den Weiten der alchemistischen Hochburgen unserer alten Welt. Im Geheimen brachte der Rat sie an, zum Schutze des Tores, hinter dem das Ende der Welt verborgen liegt.
    Jenes Tor selbst nahm der Wächter in seine Obhut. Und selbst wenn eines dunklen Tages alle Siegel brächen, wacht doch noch immer der Schatten des Engels über den unheiligen Weg in die Schatten.

12.
    Ich will den Schatten küssen, den sie wirft!
    Hugo von Hoffmannsthal
    (1874-1929)
    In Die Frau ohne Schatten
     
    W enige Wochen später erreichte Jonas Mandelbrodt, ohne dass jemand es bemerkt oder gar gefeiert hätte, sein neuntes Lebensjahr.
    Ambrì war ihm und Maria nun endgültig zur Heimat geworden. Er hatte dem Mädchen das Querkraut gezeigt, war neben ihr eingeschlafen und hatte davon geträumt, an ihrer Seite erwachsen zu werden und irgendwann einmal einen gemeinsamen Schatten mit ihr zu werfen. In ihren schwarzen Augen, in denen nichts als Kälte lag, glaubte er Zuneigung zu erkennen, in ihren Armen Geborgenheit zu empfinden. Er war sich sicher, dass sie für immer zusammengehörten, wollte auf sie achten, sie beschützen und ahnte dabei doch nicht, wie wenig dieses Mädchens seines Schutzes bedurfte. Und weil all die Wünsche und Hoffnungen in ihm so viel stärker waren als die Wirklichkeit, bemerkte Jonas auch nicht, was in ihrem Inneren hauste. Er ahnte nicht, dass das Querkraut und die Käfer sie nicht scherten, dass sie keineswegs wie er empfand und ihr Anderssein im Schatten sich furchtbar von dem seinem unterschied.
    Wenige Tage nach seinem neunten Geburtstag trat Malachias auf ihn zu und riss ihn aus seinen Gedanken. Aus dem Alten erklang die Stimme des Wächters: »Es schmerzt mich, deine Träume zu stören, Jonas. Doch Maria ist nicht, was du denkst. Selbst dein Schatten wagt nicht, es dir zu verraten. Sie ist nicht, was du dir erhoffst. Ebenso wenig, wie Erzsebet Stiny deine Verbündete ist. Ich verrate es dir einzig und allein, weil deine Gedanken klar sein müssen, wenn das Ende naht. Du wirst dich an alles erinnern müssen, was du jemals erfahren hast. Zu viel hängt von dir ab, als dass du dich von kleinlicher menschlicher Zuneigung blenden lassen dürftest …«
    Jonas aber verstand nicht. Im ersten Moment glaubte er gar an einen Scherz des Wächters. Bis ihm bewusst wurde, dass der Schatten des Engels noch nie zuvor gescherzt hatte.
    »Ich weiß, dass du mir nicht so einfach Glauben schenken kannst, Jonas. Zu schmerzhaft ist die Wahrheit, und jeder Mensch hat die Fähigkeit, sich vor ihr zu verschließen. Das ist das Vorrecht eurer Art. Doch glaube mir, es ist wichtig, dass du begreifst. Und wenn du Maria noch nicht entzaubert sehen willst, so beginne mit Erzsebet Stiny. Folge ihr. Betrachte sie und ihr Siegel. Auf, besteig deinen Schatten, lass deinen Körper bei mir und sieh, was geschieht. Denn mit jedem Siegel, das bricht, rückt deine Prüfung näher.«
    Jonas seufzte leise. Die kryptischen Worte des Wächters waren das Einzige, an das er sich während all der Zeit in Ambrì nicht hatte gewöhnen können. Er nahm sich zusammen, atmete durch und erinnerte sich an das, was Malachias ihn über das Reisen im Schatten gelehrt hatte. Inzwischen wusste er, wie er seinen Körper verlassen und in seinem Schatten die Welt durchmessen konnte. Doch es war noch immer ein seltsames Gefühl, wenn sein Selbst sein Inneres verließ. Murrend löste Jonas sich von Maria und ging zu dem alten, verschlissenen

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