Der letzte Single fangt den Mann
wollen schon seit drei Jahren Bilder aufhängen, aber ich glaube, mein Vater hebt sich das für eine Daddy-Tochter-Aktion an Weihnachten auf. Die Fensterläden sind geöffnet, man hat einen traumhaften Blick auf den hellblauen Himmel draußen.
» Hm«, sagt Robert und geht zum Bücherregal. » Milly Molly Mandy. Die fünf Freunde, alle Bände, natürlich sortiert. Alle Kinderbücher von Roald Dahl, auch Küsschen, Küsschen? Das ist ein bisschen gewagt. O klasse! Ich liebe Dolly Rieder.«
Er legt sich auf das Bett und liest laut aus Dollys großer Tag vor – mit einer vornehmen altmodischen Schulmädchenstimme.
Ich versuche, ein missbilligendes Gesicht zu machen, scheitere aber (das war mein Lieblingsbuch, jedenfalls direkt nach Anne auf Green Gables ) und muss kichern. Nach ein paar Minuten hört er auf, und wir legen uns Seite an Seite auf mein Bett und schließen die Augen.
Ich bin angenehm entspannt, und nach ungefähr zwanzig Minuten, in denen ich nichts höre außer gelegentlichem Vogelgezwitscher und Roberts tiefen, gleichmäßigen Atemzügen neben mir, bin ich kurz davor einzunicken.
» Hast du das gehört?«, flüstert Robert plötzlich, setzt sich kerzengerade auf und sieht mich alarmiert an.
Ich schüttle den Kopf, und wir starren uns an, der Stille im Haus lauschend. Dann höre ich es. Aus dem Schlafzimmer über uns dringen Geräusche an unser Ohr, als würden Luke und Sophie ein flottes Tennis spielen oder…
» LAUF !«, zische ich Robert zu, der bereits auf dem Weg zur Tür ist.
» Lass uns nie wieder ein Wort darüber verlieren«, sagt Robert ungefähr fünfzehn Sekunden später, als wir sicher aus dem Haus sind.
» Einverstanden«, sage ich. Ich hake mich bei ihm ein, und wir gehen ein Stück durch das Dorf. » Lass uns einen Café crème trinken«, sage ich. » Oohhh! Und dazu Brioche.«
» Oohhh!«, äfft Robert mich nach.
Ein Spaziergang durch Autignac ist immer leicht surreal. Nach dem Londoner Verkehrslärm ist die Stille in der kleinen französischen Gemeinde fast beängstigend. Die Straßen sind etwas krumm, die Häuser stehen wild durcheinander, und man kommt sich vor– ein charmanter Effekt– wie im Märchen.
Wir hören nichts außer Vogelgezwitscher und gelegentlich eine französische Radio- oder Fernsehstimme, die aus einem offenen Fenster dringt. Und auf dem Weg zur Boulangerie begegnen wir keiner Menschenseele, mit Ausnahme von zwei alten Frauen in Schwarz, die an einer Straßenecke stehen und tratschen. Beide haben Gehstöcke und giftige kleine Hunde und unterbrechen ihr Gespräch, als wir näher kommen, während sie uns gründlich mustern.
» Bonjour!«, sage ich freundlich.
Finden Sie nicht, Französisch klingt wie eine erfundene Sprache, wenn man nur ein paar Brocken spricht? Ich schon.
» Bonjour«, murmeln beide misstrauisch.
Ich werfe Robert einen Blick zu, als wir an ihnen vorbeigehen.
» Die Einheimischen sind sehr freundlich.«
» Ich würde uns nicht leiden können an ihrer Stelle«, entgegnet er. » Das ist ein wunderschönes Dorf. Wie haben deine Eltern es entdeckt?«
» Sie haben oft Urlaub in Frankreich gemacht«, antworte ich. » Sie sind passionierte Entdecker.«
» Daher hast du das also mit dem Recherchieren«, sagt er.
Ich ziehe eine Grimasse. Ich will nicht an die Arbeit denken. In letzter Zeit war es ziemlich stressig: viele Projekte und Meetings mit Leuten, die Fragen stellten, auf die ich Antworten haben musste. Außerdem sitzt André bei uns und quatscht ziemlich viel. Er fragt mich ständig über Projekte aus und über Kunden und auch über Dinge, die nichts mit der Arbeit zu tun haben, wie Reisen und mein Privatleben. Ich bin mir nicht sicher, ob er flirtet. Er verhält sich professionell, aber die intensiven Blicke grenzen allmählich ans Lächerliche.
Charlotte und ich konnten uns ein paarmal in der Mittagspause abseilen. Charlotte arbeitet härter als alle, die ich kenne. Sie hat mir einmal erzählt, dass sie eine schreckliche Lehrerin in Birmingham hatte, die ihr riet, das Abitur erst gar nicht zu versuchen, und dass sie immer an diese Frau denkt, wenn ihre Konzentration bei der Arbeit nachlässt. Charlotte erzählte auch, dass sie sich nie hübsch fand, weil sie als Teenager pummelig war. Ihr Ex war der einzige Junge, der jemals mit ihr ausgehen wollte, darum war sie wahrscheinlich so lange mit ihm zusammen.
Ich frage mich, warum ich so lange mit Peter zusammen war. Ich glaube nicht, dass es an meinen Komplexen lag. Vielmehr bin
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