Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
ereilte. Mit List und Kühnheit schüttelten er und sein Kumpan die Verfolger von ihrer Spur, indem sie ein Mietshaus in der Edmonton Street betraten und es durch den Hintereingang, der auf den Curzon Square führte, verließen. Von diesem Tag an sah man sie nicht mehr in England. Sechs Monate danach wurden ein Marchese von Montalva und Signor Rulli, sein Sekretär, in ihren Zimmern im Hotel ›Escurial‹ zu Madrid ermordet. Man schrieb das Verbrechen Nihilisten zu, und die Mörder wurden nie gefaßt. In spektor Baynes besuchte uns in der Baker Street mit einer gedruckten Beschreibung des dunklen Gesichts des Sekretärs und der herrischen Züge, durchdringenden schwarzen Augen und buschigen Brauen seines Herrn. Uns blieb kein Zweifel, daß die Gerechtigkeit, wenn auch verspätet, gesiegt hatte.
»Ein chaotischer Fall, mein lieber Watson«, sagte Holmes. Er saß und rauchte seine Abendpfeife. »Sie werden ihn nicht in der gedrängten Form, die Ihnen so teuer ist, vortragen können. Er erstreckt sich über zwei Kontinente, betrifft zwei Gruppen geheimnisvoller Leute und wird darüberhinaus noch durch das Auftreten unseres höchst angesehenen Freundes Scott Eccles kompliziert, dessen Einbeziehung zeigt, daß der verstorbene Garcia einen vorausschauenden Geist und einen gutausgebildeten Selbsterhaltungstrieb besessen hat. Bemerkenswert ist nur, daß wir, unseren werten Mitarbeiter, den Inspektor, eingerechnet, inmitten eines wahren Dschungels von Möglichkeiten uns haben ans Wesentliche halten können und so sicher über den holprigen, gewundenen Pfad geführt wurden. Gibt es noch etwas, das Ihnen nicht ganz klar geworden ist?«
»Ja, aus welchem Grund kehrte der Mulatte zurück?«
»Ich denke, das geht ganz auf das Konto des seltsamen Gegenstands in der Küche. Der Mann war ein primitiver Wilder aus den Hinterwäldern von San Pedro, und das war sein Fetisch. Als sie nun in das vorbereitete Versteck geflohen waren – wo zweifellos bereits ein Verbündeter wartete –, bewogen ihn seine Gefährten, diese so anrüchige Sache im Haus liegenzulassen. Aber das Herz des Mulatten war bei seinem Fetisch, und es trieb ihn am nächsten Tag zu ihm zurück. Als er durchs Fenster spähte, sah er ihn im Besitz des Polizisten Walters. Er wartete drei Tage ab, dann trieb ihn Frömmigkeit – oder Aberglaube –, es noch einmal zu versuchen. Inspektor Baynes, mit der Schlauheit, die er so gern an den Tag legt, tat den Zwischenfall vor mir als belanglos ab, hatte aber in Wirklichkeit seine Wichtigkeit erkannt. Und so baute er eine Falle auf, in die der Mensch tappte. Gibt es sonst noch etwas, Watson?«
»Der zerrissene Vogel, der Eimer mit Blut, die verkohlten Knochen, all die geheimnisvollen Dinge in der unheimlichen Küche.«
Holmes lächelte. Er schlug sein Notizbuch auf.
»Ich habe einen Morgen im Britischen Museum zugebracht und über das und noch anderes nachgelesen. Hier ist ein Zitat aus Eckermanns ›Woodooismus und die Negerreligionen‹:
›Der echte Woodooanbeter unternimmt nichts von Wichtigkeit, ohne zuvor ein Opfer gebracht zu haben, das dazu dienen soll, seine unreinen Götter zu besänftigen. In extremen Fällen nehmen diese Riten die Form von Menschenopfern mit nachfolgendem Kannibalismus an. Gebräuchlichere Opfer sind ein weißer Hahn, der bei lebendigem Leib in Stücke gerissen wird, oder eine schwarze Ziege, der man die Kehle durchschneidet und deren Körper man verbrennt.‹
Sie sehen, unser wilder Freund war sehr orthodox in seinen Riten. Es ist grotesk, Watson«, fügte Holmes hinzu und schloß langsam sein Notizbuch, »aber – wie ich schon Gelegenheit hatte, anzumerken, vom Grotesken zum Schrecklichen ist es nur ein Schritt.«
Der Pappkarton
Bei meiner Auswahl einiger typischer Fälle zur Illustration der geistigen Fähigkeiten meines Freundes Sherlock Holmes habe ich versucht, mich so weit wie möglich an diejenigen zu halten, die nur ein Mindestmaß an Sensation bieten, hingegen ein angemessenes Feld zur Erprobung seiner Talente eröffneten. Doch ist es unglücklicherweise unmöglich, das Sensationelle völlig vom Kriminellen zu scheiden, und der Chronist gerät in das Dilemma, entweder für seinen Bericht wesentliche Einzelheiten zu opfern und so einen flachen Eindruck vom jeweiligen Problem zu vermitteln, oder er muß den Stoff, mit dem ihn der Zufall, nicht aber seine Wahl ausstattete, nehmen, wie er ist. Mit dieser kurzen Vorbemerkung wende ich mich der
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