Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
Ehre retten könnten! Sie hat ihm so viel bedeutet.«
Holmes schüttelte traurig den Kopf.
»Kommen Sie, Watson«, sagte er, »unser Weg verläuft anders. Die nächste Station muß das Amt sein, aus dem die Papiere entwendet wurden.«
»Es sah schon vorher finster genug für diesen jungen Mann aus, und unsere Untersuchungen verdüstern seinen Ruf nur noch mehr«, bemerkte er, als die Droschke losrumpelte. »Die bevorstehende Hochzeit könnte ein Motiv für das Verbrechen sein. Natürlich wollte er Geld. Der Gedanke ging ihm nicht aus dem Kopf, seit er davon gesprochen hatte. Fast hätte er das Mädchen durch das Erzählen seines Vorhabens zu seiner Komplizin gemacht. Das ist alles sehr schlimm.«
»Aber sicherlich, Holmes, zählt doch wohl der gute Ruf. Wiederum jedoch, warum soll er das Mädchen auf der Straße haben stehen lassen und davongestürmt sein, um eine Schurkerei zu begehen?«
»Genau. Es gibt gewisse Einwände. Aber es ist ein schrecklicher Fall, dem sie gegenüberstehen.«
In dem Amt empfing uns Mr. Sidney Johnson, der Bürovorsteher, mit dem Respekt, den die Visitenkarte meines Gefährten immer hervorrief. Er war ein dünner, mürrischer Mann mittleren Alters mit Brille; seine Wangen waren hager, und die Hände zuckten vor nervöser Spannung, in der er sich befand.
»Das ist arg, Mr. Holmes, sehr arg! Haben Sie vom Tod des Chefs gehört?«
»Wir kommen soeben von seinem Hause.«
»Das ganze Amt ist völlig durcheinander. Der Chef tot, Cadogan West tot, unsere Dokumente gestohlen, und doch waren wir, als wir Montagabend die Tür schlossen, ein ebenso leistungsfähiges Amt wie jedes andere im Dienste der Regierung. Guter Gott, der Gedanke ist schrecklich! Daß ausgerechnet West eine solche Sache begangen haben soll!«
»Sie sind also von seiner Schuld überzeugt?«
»Ich sehe keine andere Erklärung. Und doch hätte ich ihm vertraut, wie ich mir selbst vertraue.«
»Zu welcher Zeit ist das Büro am Montag geschlossen worden?«
»Um fünf.«
»Haben Sie abgeschlossen?«
»Ich bin immer der letzte, der geht.«
»Wo befanden sich die Pläne?«
»In dem Safe dort. Ich habe sie selber hineingelegt.«
»Hat das Gebäude keinen Wächter?«
»Doch, es gibt einen. Aber er beaufsichtigt auch noch andere Abteilungen. Er ist ein alter Soldat und ein höchst vertrauenswürdiger Mann. Er hat an dem Abend nichts gesehen. Natürlich, der Nebel war sehr dicht.«
»Vorausgesetzt, Cadogan West wollte nach Dienstschluß in das Gebäude: Er hätte drei Schlüssel benötigt, so ist es doch wohl, ehe er an die Papiere herankam?«
»Ja, so ist es. Den Schlüssel für die Außentür, den Schlüssel für unser Büro und den Schlüssel für den Safe.«
»Lediglich Sir James Walter und Sie besitzen diese Schlüssel?«
»Ich besitze keine Schlüssel zu den Türen – nur den für den Safe.«
»War Sir James ein Mann von regelmäßigen Gewohnheiten?«
»Ja, ich denke, das war er. Soweit es diese drei Schlüssel angeht, weiß ich, daß er sie alle am selben Ring trug. Ich habe sie oft dort gesehen.«
»Und an dem Ring nahm er sie nach London mit?«
»Er sagte es.«
»Und Sie haben Ihren Schlüssel nie vermißt?«
»Niemals.«
»Dann muß West, wenn er der Schuldige ist, Duplikate besessen haben. Und doch hat man sie bei dem Toten nicht gefunden. Etwas anderes: Wenn ein Angestellter Ihres Amtes die Pläne hätte verkaufen wollen, wäre es dann für ihn nicht einfacher, sie zu kopieren, statt die Originale zu entwenden, wie es hier geschah?«
»Es wären beträchtliche technische Kenntnisse erforderlich gewesen, brauchbare Kopien herzustellen.«
»Ich nehme doch an, Sir James, West oder auch Sie besitzen solche technische Kenntnisse?«
»Zweifellos besitzen wir sie, aber ich bitte Sie, mich nicht in die Angelegenheit hineinzuziehen, Mr. Holmes. Welchen Nutzen hat es, daß Sie in der Richtung spekulieren, da doch die Pläne in Wirklichkeit bei West gefunden wurden?«
»Nun, es ist gewiß außergewöhnlich, daß er das Wagnis eingegangen sein soll, die Originale mitzunehmen, wenn er in aller Ruhe hätte Kopien anfertigen können, die seinen Zwecken genauso dienlich gewesen wären.«
»Außergewöhnlich, zweifellos – und doch hat er es so gemacht.«
»Jede Befragung in diesem Fall bringt etwas Unerklärliches ans Licht. Bis jetzt fehlen immer noch drei
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