Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
sitzenzubleiben. Die Gaslampe in der Halle spendete kaum Licht. Holmes öffnete die Haustür, und als die dunkle Gestalt an ihm vorbeigeschlüpft war, drückte er sie wieder zu und verschloß sie.
»Hier entlang«, hörten wir Holmes sagen, und einen Augenblick später stand der Mann vor uns. Holmes ging dicht hinter ihm, und als der Fremde sich mit einem Schrei der Überraschung und Bestürzung zur Tür umwandte, packte er ihn beim Kragen und stieß ihn ins Zimmer zurück. Bevor unser Gefangener die Fassung wiedergewinnen konnte, war die Zimmertür geschlossen, und Holmes stand mit dem Rücken davor. Der Mann blickte hilflos um sich, schwankte und stürzte besinnungslos zu Boden. Dabei fiel ihm der breitrandige Hut vom Kopf, der Schal rutschte vom Mund, und wir erkannten den langen blonden Bart und die sanften, hübschen Züge von Colonel Valentine Walter.
Holmes pfiff überrascht.
»Sie können mich diesmal als Esel beschreiben, Watson«, sagte er. »Dies ist nicht der Vogel, den ich erwartet habe.«
»Wer ist es?« fragte Mycroft eifrig.
»Der jüngere Bruder des verstorbenen Sir James Walter, des Hauptes der UnterseebootAbteilung. Ja, ja, ich weiß jetzt, wie sich das Spiel entwickelt hat. Er kommt zu sich. Ich denke, Sie überlassen das Verhör am besten mir.«
Wir hatten den leblosen Körper aufs Sofa gelegt. Nun richtete sich unser Gefangener auf, blickte mit angstverzerrtem Gesicht umher und fuhr sich mit der Hand über die Stirn wie jemand, der glaubt, seinen Sinnen nicht trauen zu können.
»Was sehe ich?« fragte er. »Ich bin gekommen, um Mr. Oberstein zu besuchen.«
»Wir wissen alles«, sagte Holmes. »Wie sich jedoch ein englischer Gentleman so verhalten kann, geht über meine Fassungskraft. Wir wissen um Ihre ganze Korrespondenz und Ihre Beziehungen zu Oberstein. Auch um die wirklichen Umstände, die zum Tod des jungen Cadogan West geführt haben. Ich rate Ihnen, sich wenigstens das bißchen Kredit durch Reue und Geständnis zu verdienen, denn es gibt noch einige Einzelheiten, die wir nur aus Ihrem Mund erfahren können.«
Der Mann stöhnte und barg das Gesicht in den Händen. Wir warteten, er aber blieb schweigsam.
»Ich kann Ihnen versichern«, sagte Holmes, »alles Wesentliche ist schon bekannt. Wir wissen, daß Sie Geld brauchten; Sie haben Abdrücke von den Schlüsseln Ihres Bruders gemacht; Sie traten mit Oberstein in Korrespondenz, und der beantwortete Ihre Briefe über die Annoncenseite des ›Daily Telegraph‹. Sie sind am Montagabend im Nebel zum Amt gegangen, aber der junge Cadogan West, der wahrscheinlich einige Gründe hatte, Ihnen zu mißtrauen, erkannte und verfolgte Sie. Er beobachtete Ihren Diebstahl, konnte aber nicht Alarm schlagen, weil es auch möglich war, daß Sie die Papiere zu Ihrem Bruder nach London bringen sollten. Als guter Bürger stellte er seine Privatangelegenheiten hintan, folgte Ihnen durch den Nebel und blieb Ihnen auf den Fersen, bis Sie vor eben diesem Haus anlangten. Da griff er ein, und da, Colonel Walter, fügten Sie dem Verrat das noch fürchterlichere Verbrechen des Mordes hinzu.«
»Das habe ich nicht getan! Das habe ich nicht getan! Ich schwöre bei Gott, daß ich es nicht ge tan habe!« schrie unser nichtswürdiger Gefangener.
»Dann erzählen Sie uns, wie Cadogan West zu Tode kam, bevor Sie ihn auf das Dach eines Stadtbahnwagens legten.«
»Das werde ich tun. Ich schwöre Ihnen, ich werde es tun. Das andere habe ich getan. Ich gestehe es. Es war, wie Sie sagen. Schulden an der Wertpapierbörse mußten bezahlt werden. Ich brauchte das Geld dringend. Oberstein bot mir fünftausend. Ich mußte mich vor dem Ruin retten. Aber an dem Mord bin ich so unschuldig wie Sie.«
»Was hat sich zugetragen?«
»Er hegte bereits Verdacht, und er folgte mir, wie Sie es beschrieben haben. Mir war nichts aufgefallen, bis ich hier vor der Tür stand. Der Nebel war dicht, man konnte nicht drei Yard weit sehen. Ich hatte zweimal geklopft, und Oberstein war zur Tür gekommen. Da stand der junge Mann plötzlich vor mir und wollte wissen, was wir mit den Papieren vorhätten. Oberstein besitzt einen Totschläger. Er trug ihn immer bei sich. Als sich West nach uns ins Haus drängte, schlug Oberstein ihn auf den Kopf. Es war ein schrecklicher Schlag. Innerhalb von fünf Minuten war der Mann tot. Da lag er nun in der Halle, und wir wußten uns keinen Rat. Dann kam Oberstein der Gedanke an die Züge, die unter
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