Der letzte Streich des Sherlock Holmes, Bd. 4
sind mir doch nicht böse?« fragte er, während er um Luft rang.
Armer Teufel, wie konnte ich ihm böse sein, da ich ihn in solchem Zustand vor mir liegen sah?
»Es ist zu Ihrem eigenen Besten«, krächzte er.
»Zu meinem Besten?«
»Ich weiß, was mit mir los ist. Ich habe die Kuli-Seuche aus Sumatra – eine Krankheit, über die die Holländer besser Bescheid wissen als wir, wenn sie auch bisher wenig aus Ihrem Wissen gemacht haben. Nur soviel steht fest: Sie führt unfehlbar zum Tod, und sie ist schrecklich anstekkend.«
Jetzt sprach er mit fiebriger Eindringlichkeit, und seine langen Hände zuckten und ruckten, als er mich von sich wegwedelte.
»Durch Berührung wird sie übertragen, Watson, verstehen Sie: durch Berührung. Bleiben Sie auf Distanz, und alles geht in Ordnung.«
»Lieber Himmel, Holmes! Nehmen Sie etwa an, solche Gedanken wären auch nur einen Augenblick für mich von Gewicht? Sie würden mich bei einem Fremden nicht beeinflussen. Glauben Sie vielleicht, so etwas könnte mich abhalten, meine Pflicht an einem alten Freund zu tun?«
Wieder trat ich einen Schritt näher, aber er schleuderte mir einen wilden, zornigen Blick entgegen.
»Wenn Sie stehenbleiben, spreche ich. Wenn nicht, müssen Sie das Zimmer verlassen.«
Ich hatte solche Hochachtung vor Holmes’ außergewöhnlichen Qualitäten, daß ich mich stets seinen Wünschen fügte, auch wenn ich sie am wenigsten verstand. Aber jetzt waren alle meine beruflichen Instinkte hellwach. Sollte er sich sonstwo als mein Meister gebärden, hier, im Krankenzimmer, war ich der seine.
»Holmes«, sagte ich, »Sie sind nicht bei sich. Ein Kranker ist ein Kind, und wie ein Kind werde ich Sie behandeln. Ob Sie es wollen oder nicht, ich werde Sie untersuchen und nach den Symptomen behandeln.«
Er sah mich aus bösen Augen an.
»Wenn ich schon einen Doktor haben soll, ob ich will oder nicht, dann besorgen Sie mir wenigstens einen, dem ich vertrauen kann«, sagte er.
»Sie vertrauen mir nicht?«
»Als Freund, gewiß. Aber hier geht es um Tatsachen, Watson. Sie sind schließlich nur ein praktischer Arzt mit sehr beschränkten Erfahrungen und mittelmäßiger Qualifikation. Es schmerzt mich, das sagen zu müssen, aber Sie haben mir nicht die Wahl gelassen.«
Ich war tief verletzt.
»Solche Worte sind Ihrer nicht würdig, Holmes. Sie zeigen mir sehr deutlich, in welchem Zustand sich Ihre Nerven befinden. Aber wenn Sie kein Vertrauen zu mir haben, will ich Ihnen meine Dienste nicht aufdrängen. Gestatten Sie, daß ich Sir Jasper Meek hole oder Penrose Fisher oder einen anderen von den besten Leuten Londons. Denn Sie benötigen dringend einen Arzt, dies ein für allemal. Sie irren, wenn Sie annehmen, ich würde hier stehen und zusehen, wie Sie sterben, ohne Ihnen zu helfen oder jemanden zu holen, der Ihnen helfen kann.«
»Sie meinen es gut, Watson«, sagte der Kranke und gab einen Laut zwischen Schluchzen und Stöhnen von sich. »Soll ich Ihnen Ihre eigene Unwissenheit beweisen? Was wissen Sie, bitteschön, vom Tapanuli-Fieber? Was wissen Sie von der schwarzen Formosa-Vereiterung?«
»Von den beiden Krankheiten habe ich noch nichts gehört.«
»Der Osten, Watson, hat viele Fragen, die mit Seuchen zusammenhängen, viele seltsame Möglichkeiten, die krank machen.«
Nach jedem Satzteil legte er eine Pause ein, um seine schwindenden Kräfte zu sammeln. »In letzter Zeit habe ich viel gelernt, bei Nachforschungen mit medico-kriminalistischem Aspekt. Dabei habe ich mir dieses Leiden zugezogen. Sie können nicht helfen.«
»Nein, möglicherweise. Aber ich weiß zufällig, daß sich Dr. Ainstree, die größte Autorität auf dem Gebiet der Tropenkrankheiten, in London aufhält. Alles Widerstreben nützt nichts, Holmes. Ich gehe sofort und hole ihn.«
Entschlossen wandte ich mich zur Tür.
Nie im Leben ist mir ein größerer Schreck widerfahren! In Sekundenschnelle hatte mich der sterbende Mann mit einem Tigersprung abgefangen. Ich hörte das scharfe Klicken eines Schlüssels, der im Schloß umgedreht wird. Im nächsten Augenblick war er zum Bett zurückgeschwankt, erschöpft und schweratmend nach diesem gewaltigen Ausbruch von Energie.
»Sie können mir auch mit Gewalt den Schlüssel nicht entwinden, Watson. Jetzt sitzen Sie in der Falle, mein Freund. Hier sind Sie, und hier werden Sie bleiben, bis ich anders entscheide. Aber ich werde Ihre Laune
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