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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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erstarb wie die Bewegung. Stille. Nur das heftige Atmen war zu vernehmen und das Rascheln der Blätter im Wind. Und plötzlich stimmten die Weibchen ein durchdringendes Geheul an, während ihre Jungen sich verängstigt schutzsuchend ans Brustfell klammerten und in lautes Weinen ausbrachen.
    Nach langer stummer Reglosigkeit erhoben sich die Krieger, standen wie Gespenster im Mittagslicht, dann begannen sie Steine heranzuschleppen und über die Toten zu häufen.
    »Hast du je einen Schädelbaum gesehen?«, fragte Elmer am nächsten Morgen.
    Steve schüttelte den Kopf.
    »Dann komm mit nach oben.«
    Sie stiegen bachaufwärts, am Sattelplatz vorbei, zur Anhöhe, auf der die Krieger ruhten, und bei ihnen Charles und Harald. Die Stätte bot einen grausigen Anblick. Oberhalb des Steinhaufens, der über Blizzard und seinen Gefährten aufgetürmt worden war, erhob sich ein kahler, von Meer und Sonne gebleichter Ast, der wie eine Knochenhand aus der Erde ragte. Und an den zugespitzten Enden der Äste steckten zweiundzwanzig abgeschlagene Köpfe. In einem glaubte Steve den des Piloten wiederzuerkennen, den Goodluck seinerzeit bei ihrer Landung gefangengenommen und an die Händlersöldner verkauft hatte, aber er war sich nicht sicher. Es waren viele junge dunkelhäutige Gesichter darunter, in denen sich noch der Schmerz der Todeswunde spiegelte. Sie begleiteten Blizzard auf seiner langen Wanderschaft und würden ihm jenseits des Großen Wassers dienen.
    Fliegen summten; ein Geier schwebte herab und musterte sie, die Schwingen noch halb geöffnet, mit kaltem Auge. Der erste Hauch von Verwesung färbte den frischen Geruch des Tages; bald würde er erstickend sein.
    Sie mieden fortan die schreckliche Stelle. Blizzard herrschte über die Toten, reglos und schweigend.

Nach Atlantis und anderswohin
    Später im Frühjahr ritten sie zum Markt, Ricardo, Jerome und Steve. Sie brachten Jane zur Barke. Das Schiff, das im Frühsommer von den Bermudas herüberkommen würde, sollte sie nach Atlantis bringen.
    Die Anlegestelle lag nun etwas südlicher. Die Wasser stiegen. Die Wälder sanken weiter ab in die Tiefe.
    Sie lagerten unweit der Anlegestelle an einem Bach und gingen auf Jagd. Diesmal mussten sie vier Tage lang warten, bis die Barke eintraf und in der Bucht festmachte. Es waren eine Menge Leute an Bord, und ihrem Gepäck nach zu urteilen, waren sie im Begriff, über den Atlantik zu gehen.
    »Dort ist Paul Loorey«, sagte Ricardo und winkte. »Er ist also doch zurück.«
    Steve warf einen Blick über die Schulter auf Jane, die mit Jerome etwas abseits stand. Sie hatte es nicht gehört, die Rufe der Matrosen, die die Taue festmachten, das Geschrei der Leute, die zur Reling drängten und das Meckern der Ziegen waren laut genug. Er hätte Loorey nicht wieder erkannt. Der etwas mürrische junge Mann, den er am Cape kennen gelernt hatte, ähnelte dem wunderlichen alten Herrn, der an der Reling stand und grüßend seinen Wanderstab hob, nicht im Geringsten. Er sah eher aus wie ein Wanderprediger, trug ein knielanges togaähnliches Gewand aus braunem Tuch, mit Leder paspeliert, eine weite schwarze Pumphose, die über den Knöcheln mit Bändern geschnürt war, auf dem Kopf ein safrangelber Turban, unter dem dichtes weißes Haar hervorquoll, das ihm bis auf die Schultern fiel. Ein weißer gestutzter Bart rahmte das braun gebrannte Gesicht. Seine ebenso braun gebrannten Füße steckten in bequemen Ledersandalen; an seiner Seite hing eine riesige Tasche aus grob gewebtem Stoff, neben ihm stand ein Reisekorb aus Flechtwerk.
    »Paul Loorey, wie eh und je«, sagte Ricardo lachend, »mit einer großen Einkaufstasche voller Krimskrams und einem Korb voller Sprüche. Ich wette, er ist nur deshalb wieder herübergekommen, weil er drüben niemanden mehr gefunden hat, der ihm zuhört, und weil er platzt vor Neuigkeiten.«
    Steve hielt den Atem an.
    Jane stand mit Jerome am Ende der Planke, über welche die Passagiere von Bord gingen. Als Paul an ihr vorüberging und den Fuß an Land setzte, stutzte er einen Moment lang wie vom Donner gerührt, dann ging er weiter, ohne sich umzudrehen. Er starrte vor sich hin und schüttelte unmerklich den Kopf, betroffen über die Begegnung mit einer Wirklichkeit, die er längst vergangen glaubte, dann stieß er kräftig seinen Wanderstab auf den Boden, wie um seine Entscheidung zu dokumentieren, hinter diese Vergangenheit einen Schlusspunkt gesetzt zu haben, und kam auf sie zugestapft.
    »Paul!«, rief Ricardo.
    Paul

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