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Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
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keine Zukunft.«
    Sie blickten ihn fragend an.
     
    »Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren! Die Worte, dunkler Farbe, sah ich Ans Haupt geschrieben einer Pforte stehn. Dies ist die Welt, die keine Zukunft trägt. Durch ewig selbstverschuldet Elend Hat sie sich selbst beraubt der Zeit Und deren Segen. Sie ist verflucht Und schon verlassen, eh noch der erste Keim Entsprang, um gnädig zu verhüllen ihre Schau …«
     
    »Das kommt mir irgendwie bekannt vor«, sagte Steve.
    »So oder so ähnlich wird es eines Tages ein Dichter hier in dieser Gegend ausdrücken«, sagte Paul und hob den Zeigefinger, blinzelte spöttisch.
    »Du warst schon immer ein listiges Kerlchen«, sagte Ricardo lachend.
    Paul zuckte die Achseln. »Nun, ja. Habe ich nicht Recht?«
    »Das musst du besser wissen«, sagte Jerome.
    »Du warst in Atlantis«, sagte Ricardo. »Steht es schlimm?«
    »Ich werde euch von Atlantis erzählen«, sagte Paul.
    »Atlantis«, sagte er, als sie, nach dem Markt Richtung Süden geritten, am abendlichen Feuer saßen und ringsum im Dunkel die Zikaden lärmten, »ist ein gar seltsamer Kontinent. Nirgendwo siehst du Wagemut und Mutlosigkeit näher beieinander wohnen als dort. Wenn du auf der Terrasse von Dudleys Future in St. George sitzt, des Lokals, das sich rühmt, das erste Bier der Welt zu brauen und auszuschenken - es schmeckt scheußlich, wird aber von Jahr zu Jahr besser -, kannst du sie an ihrer Kleidung unterscheiden. Die Atlantiden mit Turban und selbstgewebter Toga, die anderen in ausgeblichenen, schäbigen Uniformen. Die einen wirken wie Einheimische, behäbig und selbstzufrieden, die anderen wie Touristen, ungeduldig und ein bisschen misstrauisch. Alle blicken sie nach Südwesten in die so genannte Zugriffzone, die einen amüsiert, ein wenig gelangweilt, die anderen nervös und voll Missbehagen wie Fluggäste, die seit Tagen auf ihre Maschine warten und von einer Stunde auf die andere vertröstet werden. Man hat die Bucht von Castle Harbour und einen großen Teil der Lagune westlich von St. George zum nördlichen Riff hin zugeschüttet, alle Unebenheiten des Geländes mit Planierraupen beseitigt und das Areal exakt nivelliert. Es hat eine Ausdehnung von etwa acht Kilometern Länge und fünf Kilometern Breite. In der Mitte befindet sich eine Plattform, auf der die Testmassen aufgebaut sind, nach denen seit Jahrzehnten ›gegriffen‹ wird - vergeblich. Niemand weiß so genau, was der Grund dafür ist. Es gibt eine ganze Menge Experten bei dieser Frage - und ebenso viele Begründungen. Am plausibelsten hört sich noch die an, dass es schwierig ist, das Rückholfeld räumlich und zeitlich scharf genug zu bündeln. Es verpufft über hunderte von Quadratkilometern und lange Zeiträume hinweg. Könnt ihr euch an den Rummel erinnern, der Mitte der siebziger Jahre um das so genannte Bermuda-Dreieck gemacht wurde? Das war nicht ganz der Humbug, als den die Wissenschaftler ihn hinstellten. Und die Gerüchteküche wurde sicher von höchster Stelle immer wieder angeheizt, um die Geschichte noch obskurer und damit unglaubwürdiger zu machen, weil man mit einiger Sorge zu ahnen begann, was sich in der geografischen Ecke abspielen könnte, wenn man auf dem Navy-Stützpunkt mächtige Zeitmaschinen in Betrieb nahm und Energie in der Größenordnung von Millionen Megawattstunden unkontrolliert in die Vergangenheit schickte. Damit ließen sich selbst mit offenen Schwerkraftfeldern gewaltige Massen durch die Zeit befördern, und Gnade dem Schiff oder dem Flugzeug, das in den Strudel einer künstlichen Gravitationsblase geriet, die rekursiv der Zeitlinie entlangtrieb, um eine Masse aus fernster Vergangenheit heraufzuholen. Es ist ein erregendes Schauspiel, wenn die Reste dieser chronotronischen Gewitterfronten Atlantis erreichen. Die Menschen starren wie gebannt in die riesige künstliche Ebene aus Beton. Das eben noch helle Licht trübt sich, die Luft ist mit einem Mal elektrisch geladen. Von den Testmassen lodern die Strahlenzungen von Elmsfeuern in den sich verfinsternden Himmel. Gewitter entladen sich in prasselnden Schlägen. Über der See steigen Wasserhosen empor, und manchmal regnet es weit im Landesinneren zappelnde Fischleiber, die hoch in die Atmosphäre getragen wurden. Manchmal färbt sich der Himmel schwarz, und ein heißer trockener Höllenatem geht über die Stadt hin, der aus anderen Äonen zu kommen scheint, dann wieder geht mitten im Sommer ein Schneeschauer nieder und Hagel wie Zentnerstücke. Ein paar

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