Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Letzte Tag Der Schoepfung

Der Letzte Tag Der Schoepfung

Titel: Der Letzte Tag Der Schoepfung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke
Vom Netzwerk:
den Leib aufbrach, begann der Junge drohend zu knurren. Steve drehte sich um.
    »Was ist mit dir?«
    Snowball versuchte zu sprechen, aber seine Kiefer schienen von einer Art Lähmung befallen zu sein, als habe er sich in ein Opfer oder einen Gegner verbissen. Er brachte nur ein unartikuliertes, knurrendes Jaulen zustande.
    »Irgendwie nähern wir uns an«, sagte Steve, während er mit raschen kurzen Schnitten den Leib des Zickleins ausweidete, bis das Gekröse sich senkte und ihm schließlich vor die Füße fiel. »Ich wurde in einer Kunst des Tötens ausgebildet, die vor allem der Vernichtung von meinesgleichen galt und mit dieser nicht das Geringste zu tun hat. Ich musste lernen, was meine Vorfahren Jahrhunderttausende lang bis vor kurzem noch als alltägliches Handwerk beherrschten, und mich schaudert dabei. Und dich lehre ich, wie du mit einem Stück Metall oder einem Stein in der Hand jedes lebendige Wesen zerstören und zu Nahrung verarbeiten kannst, auch wenn es dir an Zähnen und Klauen, Kraft und Schnelligkeit überlegen ist. Und mich schaudert.«
    Snowball betrachtete eine graublaue Darmschlinge, die im Bach hing, sich träge bewegte wie eine Schlange und gelbgrünen Kot ins Wasser entleerte, musterte interessiert die Eingeweide und berührte scheu mit den Zeigefingern Leber und Milz. Als er bemerkte, dass Steve ihm zusah, zog er hastig die Hand zurück, als habe man ihn bei einer unerlaubten Handlung ertappt. Steve fuhr ihm ins dichte Nackenfell und kraulte ihn.
    »Eines Tages wirst du sogar lernen, daraus deine Zukunft zu lesen.« Der Junge blickte ihn fragend an. Ich bin doch nicht etwa dabei, irgendwelche metaphysischen Vorstellungen zu initiieren, schoss es Steve durch den Kopf. Der ziegenköpfige Gott, der mit der Zukunft schwanger geht. »Wir wollen das Fleisch waschen«, fügte er hastig hinzu.
    »Fleisch«, sagte Snowball und fletschte sein scharfes Gebiss.
    Da sah Steve, dass sie von der anderen Seite des Bachs ein Riesenmolch musterte, ein grauschwarzes Ungetüm von mehr als einem Meter Länge, mit flachem haifischartigen Kopf und weit auseinander stehenden, rätselhaft blickenden Augen, die sich unabhängig voneinander bewegten.
    Wie kann dieses winzige Gehirn die beiden Gesichtseindrücke zur Deckung bringen und zu einer Welt verschmelzen?, fragte sich Steve. Aber es funktionierte tadellos, denn als Snowball in einer Drohgebärde beide Arme hochwarf, war das Tier wie ein dunkler Blitz im Ufergestrüpp verschwunden.
     
    Im Frühjahr tauchte das Gerücht auf, Paul Loorey sei von Atlantis zurückgekehrt. Er sei in Cadiz gesehen worden, schon im Herbst, sei an Bord der Barke gegangen, aber niemand wusste Genaueres über seinen Aufenthalt.
    »Paul war sehr skeptisch, als er hinüberging«, sagte Elmer Trucy. »Er stellte damals so etwas wie eine Abordnung dar, die sich über die Lebensumstände drüben informieren sollte. Und weil er dem Atlantis-Projekt keine Chance gab, haben wir uns auf ihn geeinigt. Er sah die Dinge kritisch.«
    Steve lag auf der Felskanzel im trockenen alten Gras des vorigen Herbstes, genoss die Frühjahrssonne und hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie waren auf Lauschposten, doch niemand rechnete ernsthaft damit, dass noch weitere Reisegruppen ankommen würden. Nach Waltons und Harness’ Listen waren aus den Zukünften, in denen das Projekt Westsenke realisiert worden war, alle eingetroffen, die ausgeklinkt worden waren. Aber das bot natürlich keine Gewähr, dass nicht in weiteren Zukunftsvarianten ähnliche Projekte in Angriff genommen worden waren, die denselben Zielzeitraum ins Auge gefasst hatten.
    »Paul behauptete, dass sie einfach zu wenige seien, um eine Zivilisation aufzubauen, die auch nur einigermaßen einen Standard halten könne, der über dem von Steinzeitjägern liegt. Um eine Arbeitsteilung zu erreichen, die für eine Hochkultur Voraussetzung ist, müssten mindestens zwanzig-bis dreißigtausend Individuen der Gemeinschaft angehören, plus ideale Bedingungen rundum, die Ackerbau und Viehzucht ermöglichen.«
    »Aber sie haben doch technische Hilfsmittel.«
    »Die seien völlig wertlos, behauptete Paul. In einer Generation allenfalls Schrott, in dreien restlos vergessen.«
    »Das Know-how ist doch da.«
    »Aber nicht das Know-how, das wirklich benötigt wird. Sensenmacher, Schuster, Schiffsbauer, Stellmacher, Seiler, Gerber, Sattler, Müller, Schmiede.«
    »Sie werden es lernen müssen. Auch wir sind dabei, uns wieder alte Techniken zu erarbeiten, wie

Weitere Kostenlose Bücher